Kaiserslautern Sex, Tod, Neurosen

Die Hauptfigur ist noch neurotischer und kaputter als im Buch. Dennoch inszenieren Sönke Wortmann und der zum Drehbuchautor mutierte Produzent Oliver Berben „Schoßgebete“, Charlotte Roches zweiten Skandalroman, als Geschichte einer Heilung. Mit großen Bildern, die das Fehlen einer Handlung überdecken sollen, und fragwürdigen Botschaften wie „Sex heilt alles“.

„Du hast sie ja nicht mehr alle“, sagt Georg Kiehl (Jürgen Vogel) irgendwann im Film, der sich wie seine Protagonistin Elisabeth Kiehl (Lavinia Wilson) ständig im Kreis zu drehen scheint. Seine Ehefrau Elizabeth hat tatsächlich nicht nur einen Psychoknacks, sie ist schwer krank. Auch wenn das Ganze lustig rüberkommen soll. Sie hat Angst, dass das Haus über ihrer Familie zusammenstürzt und alle in den Tod reißt (was der Film prompt als Vision ausspielt). Sie fürchtet sich vor Fahrstühlen. Sie erweitert ständig ihr Testament. Mit Fadenwürmern, die aus dem Po kriechen, hat sie dagegen keine Berührungsängste. Diese Frau versucht, den Alltag bis ins Letzte zu kontrollieren, um ihr schweres Trauma zu überwinden: jenen Autounfall auf dem Weg zu ihrer Hochzeit, bei dem ihre drei Geschwister starben und die Mutter schwere Verbrennungen erlitt. Dieser Unfall ist in der wirklichen Welt passiert. Und zur Therapie hat Charlotte Roche „Schoßgebete“ geschrieben. Wie sie ihr Alter Ego schildert, sei jedoch weniger autobiografisch, hat sie nach Erscheinen des Buches immer wieder versichert. Aus dem Film, dessen Drehbuchfassungen sie vorgelegt bekommen hat, ist nun zumindest ein Roman-Element verschwunden, das ebenfalls autobiografisch wirkte und die Leser verstörte: der Hass auf die überlebende Mutter. Auf die starke Feministin, die der Tochter beibringen wollte, sich nicht über einen Mann zu definieren. Worin ihr die Tochter nicht folgen mochte. Die Mutter wird im Film nun so weichgezeichnet wie insgesamt die Erinnerung an alles, was vor dem Unfall war. Und Alice Schwarzer, eine weitere Hassfigur Roches, taucht nur noch in einem Satz auf. Dafür sprechen die Bilder eine deutliche Sprache: Wortmanns Film inszeniert Elizabeth Kiehl als Frau, die all ihre Nöte mit Sex lösen zu können glaubt. Mit Momenten der Selbstaufgabe. Sie will perfekt sein für den 15 Jahre älteren Ehemann, der eher stumm ihr nervig-neurotisches Alltagsverhalten hinnimmt, weil er weiß, dass es für seine Geduld irgendwann hemmungslosen Sex gibt. „Reich und ein großer Schwanz, das macht ihn entspannt“, charakterisiert Elizabeth ihren Ehemann, als dessen Film-Ich Jürgen Vogel fehlbesetzt wirkt. Lavinia Wilson spielt die unselbstständig-ratlose Kindfrau Elizabeth allerdings nah an Charlotte Roches Koketterie, wenn ihre Elizabeth behauptet, mit diesem auf Brüste und Unterleib fixierten stillen Beobachter ihres Wahns auf einer Wellenlänge zu liegen: „Nur beim Sex vergesse ich alle Probleme und fühle mich wirklich frei.“ Dass sich die Figur damit selbst etwas vorlügt, hatte das Buch bisweilen noch angedeutet: Elizabeths Einverständnis, mit Georg gar gemeinsam in den Puff zu gehen, ist im Roman ein zähes Ringen und Hinterfragen der Motive für diese Selbstdemütigung. Spaß hat die Buch-Elizabeth auch nicht unbedingt bei den Bordellnummern. Der Film aber schiebt Elizabeths Zögern auf eine „Nervosität“, führt genüsslich 18 frühere gemeinsame Bekanntschaften mit Prostituierten aus und zeigt als Höhepunkt zum Filmfinale einen Bordelldreier in eleganten Spiegelungen und Farben: als Befreiung, als Krönung, als Gesundung. Eine perfekte Männerfantasie. Aber auch im Sinne der Autorin, wie aktuelle Interviews untermauern, in denen sich Roche schon mal mit Bonobo-Affen vergleicht, die sich mit Sex abreagieren. Das Tierische als Triumph über den Geist also. Das dürfte die Psychologin (Juliane Köhler) allerdings nicht gerade gemeint haben, als sie ihrer Dauerpatientin riet: „Leben Sie doch einfach!“ Der Film hat auch weitere allzu oberflächlich inszenierte Lösungen parat: Nachdem die Mutter als Hassfigur ausfällt, wird die Boulevardzeitung, die groß über den grausigen Unfall der Familie berichtete, zum Haupt-Feindbild. Zwar ist auch im Buch Roches Empörung ob der reißerischen Berichterstattung der „Bild“ zu spüren, doch Wortmann und Berben bauen diese Szenen aus. „Ihr habt unserer Familie etwas geklaut: das private Andenken“, wütet die Film-Elizabeth, als sie ein Foto des Unfalls auf der Titelseite des Blatts sieht. Doch macht der Film selbst nichts anderes: Wortmann stellt den Unfall ausführlich nach, zeigt nahezu voyeuristisch verletzte, verstörte Menschen. Bilder, die im Kontext des Erzählten geschmacklos wirken. Zumal Wortmann seinem Kameramann Maher Maleh zuvor weichgezeichnete, pastorale Rückblenden verordnete: Da tollt das angehende Brautpaar verzückt im Kreise der todgeweihten Familie in einem duftigen Frühlingsgarten umher, es regnet Kirschblüten. Und vielleicht sind diese Kinder auch gar nicht tot, sondern leben weiter am Rande der Autobahn, auf der das Auto verunglückte, zeigen weitere sonnige Bilder gegen Ende: Kleinmädchenträume, die Wortmann wohl als Kontrast zur harten „Realität“ bewusst so kitschig inszeniert hat. Doch machen überkonstruierte Bilder – eingangs hat Drehbuchautor Berben noch ein Action-Rache-Szenario dazu erfunden – aus einer nahezu handlungsfreien Psychostudie noch keinen guten Film.

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