Kaiserslautern Schwierige Lyrik für einen sehr hohen Preis

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Die Frankfurter Buchmesse läuft noch bis morgen. Wie lange geht es noch mit dem Buch gut? Ein Rundgang durch bücherbefreite Zonen.

Das Buch von Berlinde de Bruyckere wird im roten Schuber mit Goldprägung ausgeliefert. Hergestellt aus einer rauzigen alten Decke. Auflage 100. Gustave Flauberts „Die Legende von Sankt Julian dem Gastfreien – Herodias“. Aber mit den Anmerkungen von ihr, De Bruyckere. Allen. Und es sind viele. In Lucas van der Veldens „Buch“ ist ein Kopfhörer gestöpselt. Ein Bilderbuch mit Ornamenten ist sein Werk. Jedes Blatt mit eigener Tonspur. Es schrillt und quietscht und sirrt und lärmt industriell zu Mustern mit Pfauenaugen, verzerrtem Grau, bunten Wellenlinien. Ein Buch, das Synästhetiker als Kritiker braucht. Im Ehrengast-Pavillon der Flandern und Niederländer bei der Frankfurter Buchmesse ist van der Veldens Akustik-Animation zum Thema „Reading the Future“ ausgestellt. So wie De Bruyckeres Flaubert-Anverwandlung auch. Die Zukunft lesen. Die des Lesens ist damit natürlich mitgemeint. In Halle 4.1. kann, wer will, eine Kleinstzeitreise durch die Ungleichzeitigkeiten der Branche machen. Durch einen Korridor mit – Danke! Internet – immer wertloseren antiquarischen Büchern. Am Ausgang muss jeder seinen Tascheninhalt herzeigen. Dann hinein in das Areal, das Videokunst-Sammlerin Julia Stoschek präsidiert, glühend, im schwarzen Blusenhoseneinteiler. Und mit bunter Louis-Vuitton-Tasche und Assistentin bei der Hand. The Arts+ ist der neue „kreative Handelsplatz“ (Pressetext) der Messe betitelt. Die Menschen dort sehen einfach besser aus. Es geht um Kunst. Und das Buch halt irgendwie. Um Inhalt, nein, das Ver-Zauberwort lautet: „Content“. The Arts+ ist für sich und relativ betrachtet eine Kunstmesse für das Lumpenproletariat. Die Teilnahme an der einen oder anderen Veranstaltung kostet dennoch 480 Euro. Es gibt Häppchen im „Salon“. Powerpoint läuft heiß, wenn das geht. „Managing“-Direktorinnen präsentieren – auf Englisch – die Herstellung vieleckiger Bücher, die das Computerspiel „Minecraft“ behandeln. Auflage: elf Millionen Exemplare. Sie reden darüber, wie ein Film Buch wird, ein Buch Film, ein Buch Computerspiel. Und so weiter. Im Hintergrund pfeildiagrammt das Wisch und Weg der Animationen. Und sie reden dar über, dass eine chinesische Spiele-Firma die Weltherrschaft über das Denken der Sechs- bis 14-jährigen besitzt, mindestens. Niemand hier auf diesem Areal interessiert sich – wie noch bei den Antiquar-Zauseln – für Schminkspiegel und Handdesinfektion im Rucksack. Wie auch? Kein Mensch kann die Riesenbildschirme, auf denen Google seine Kunst-App illuminiert, wegtragen, einfach so. Dito das 35 Kilogramm schwere David-Hockney-Bilderbuch mit einer Seite Text am protzig leeren Taschen-Stand. Das Kleid aus künstlich intelligentem Stoff, der einem – wer weiß? – vielleicht etwas vorliest, wenn es bei der Party langweilig wird, ist als Diebesgut auch zu auffällig. Oder der 3D-Drucker, der einem Abbildungen von Kunstwerken hintackert, gegen den die herkömmlichen Kunstkatloge blass aussehen werden. In Zukunft, apropos. Sie gehört unter anderem Karl-Ludwig von Wendt. Also, kann sein. Der Gründer der Firma Papego ist auf der Messe für eine App ausgezeichnet worden, vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Sie ermöglicht es, gedruckte Bücher weiterzulesen, mobil. Auf dem „Smartphone“ oder dem „Tablet“. „Content-Start-up des Jahres“ darf Von Wendt sein Angebot jetzt nennen. Der Wettbewerb darum ist europaweit ausgeschrieben worden. Papego-fähige Bücher erscheinen bereits bei Piper und im Berlin Verlag. Von anderen Büchermachern kommt in naher Zukunft vielleicht gar nichts mehr auf den Markt. Es ist: ein großes Messethema. Viele eigentümergeführte Verlage stehen wegen eine Urteils des Bundesgerichtshof vor dem Bankrott. Der BGH hat entschieden, dass Buchverlage an den Einnahmen der Verwertungsgesellschaft Wort nicht mehr beteiligt werden sollen. Geld kriegen nur noch Autorinnen und Autoren. Schlimmer noch, die Verlage sollen die unter Vorbehalt gezahlten VG-Wort-Ausschüttungen der vergangenen drei Jahre zurückzahlen. Die Zahlungsaufforderungen wurden kurz vor der Messe zugestellt. Der Heidelberger Wunderhorn-Verleger Manfred Metzner erzählt an seinem Stand, er habe einen „hohen fünfstelligen Betrag“ abzudrücken. Es wird getuschelt, einige von Metzners Kollegen seien jetzt hoffnungslose Schuldner einer Bank. Nicht jeder nutzt es, keine Zukunft zu haben, so geschickt wie Ulf Stolterfoth. Die Story des vielfach ausgezeichneten Dichters als Verleger, erzählt man sich gerne am Rand. Bei der Happy-Hour bei Hanser vielleicht. Beim Empfang des feinen Suhrkamp-Verlages, der angeblich schon deutlich über 200.000 Exemplare von Elena Ferrantes „Meine geniale Freundin“ verkauft hat. Stolterfoths brueterich press Verlag, gegründet mit dem elterlichen Vorerbe, dem Verkauf einer Berliner Garage in Bestlage, druckt von jedem seiner Bände 500 Exemplare. Auch von denen des Büchnerpreisträgers Marcel Beyer. Manchmal verkauft Stolterfoth eine Auflage. So wie bei Oswald Eggers „Gnomen & Amben“. Der Verlagssitz ist eine Berliner Kneipe, „Jonas“. Sechs bis acht Bücher erscheinen im Jahr. 176 Abonnenten zahlen 15 statt 20 Euro pro Band. Eine Ehrentafel verzeichnet sie auf der Homepage. Zum Abo haben sie ein Buch aus dem Archiv des Verlegers bekommen. Die Zukunft? Noch 80 Neuabos und Stolterfoths Nischenprojekt läuft vorerst sorgenfrei. Der Werbespruch für sein Produkt klingt selbstironisch, aber vielversprechend: „Schwierige Lyrik für einen sehr hohen Preis.“ Info —Privatbesuchertage: Heute: 9 bis 18.30 Uhr. Morgen 9 bis 17.30 Uhr. Tageskarte: 19 Euro. —Internet: buchmesse.de

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