Kaiserslautern Schöne neue Welt von gestern

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Der Titel der Ausstellung zielt auf die größte aller Menschheitsfragen, ihr Inhalt dann doch eher auf die ganz praktischen Antworten. Unter dem Titel „Wie leben?“ geht es im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen um Zukunftsbilder in Kunst, Design und Architektur im 20. Jahrhundert, mehr als 300 Kunstwerke, Designobjekte und Architekturentwürfe wurden zusammengetragen. Die Idee zur Ausstellung stammt von der BASF, das Geld auch. Allzu Kritisches war da nicht zu erwarten.

Zunächst beeindruckt die Materialfülle. Drei Museumsetagen hat man freigeräumt, und trotzdem wirkt alles beengt und überladen wie selten in diesem eigentlich großzügig geschnittenen Haus. Die aus bedeutenden Sammlungen ausgeliehenen Exponate sind in 20 Themenfelder gegliedert. Das reicht von den „Industriellen Zeiten“ zu Beginn des Jahrhunderts, wo Fotoporträts von August Sander und Chaplins Stummfilm „Modern Times“ zu sehen sind, bis zur „Auflösung im Digitalen“ in der Gegenwart: Da verwandelt sich die Künstlerin Kate Cooper in ihren eigenen Avatar, und Popmusikerin Björk wird im Videoclip zum singenden Roboter. Bis man von August Sanders das Menschenbild feiernden Porträts in den menschenfreien Digitalwelten angekommen ist, muss ein materialreicher Parcours bewältigt werden. Man trifft auf die von Zukunftsstädten und Grenzen der Statik sprengenden Hochhäusern träumenden russischen Konstruktivisten; auf die holländische Künstlergruppe De Stijl mit Rietveld-Haus im Modell und Rietveld-Stuhl als maßstabsgerechtem Nachbau; auf das deutsche Bauhaus mit seinen ganzheitlichen Vorstellungen eines von der Tischlampe bis zur Wohnsiedlung durchdesignten Lebens. Ausführlich darf man größenwahnsinnige Architekturvisionen für Wohntürme und Riesenstädte bestaunen, die für 6000 Bewohner gedachte „Trichterstadt“ von Walter Jonas etwa oder Arata Isozakis in die Höhe wuchernde „Megastrukturen“. Wir sind inzwischen in den 1960er Jahren angekommen, wo der Wohnraum knapper wurde, der Glaube an den technischen Fortschritt aber noch ungetrübt war. Alles schien machbar, etwa das Wohnen in modularen Kapselsystemen aus industriell gefertigten Wohneinheiten, wie es sich der Architekt Walter Döring erdacht hatte. Stahl, Glas und vor allem Kunststoff waren die Materialien der Stunde. Beim Design vor allem eroberte der Kunststoff den Markt. Luigi Colani und Verner Panton beglückten die Welt mit quietschbunten Sitzmöbeln. Die Ausstellung ist inzwischen zum überfüllten Showroom geworden. BASF-Produkte spielen eine wichtige Rolle, und der Werbeslogan „Leben mit Luran“ gibt eine Antwort auf die im Ausstellungstitel gestellte Frage – jedenfalls bezogen auf Plastikgeschirr. Selbst Gerhard Richters erstes abstraktes Werk, bei dem der Maler 18 unterschiedlich lackierte Farbtafeln in drei Reihen übereinanderhängte, wirkt hier wie ein Farbmuster im Baumarkt. Die überall eingestreuten Kunstwerke spielen durchgehend eher eine Nebenrolle. Malewitsch, Mondrian, oder auch Naum Gabos „Konstruktiver Kopf“ werden in die Rolle von Wanddekoration gedrängt. Bei anderen wie Josef Albers oder Anton Stankowski scheint das Werk des Designers über das des Künstlers zu triumphieren. Der Erstere hat auch Stapeltische entworfen, der andere das Logo der Deutschen Bank. Ein wenig zu penetrant wird hier immer wieder die reibungsfreie Nähe von Kunst und Industrie behauptet. Die einen liefern die Ideen, die anderen Material und Auftrag. Heinz Macks sonnenselige Metallstelen und Adolf Luthers lichtfangende Spiegelobjekte finden sich in zukunftsfroher Nachbarschaft von spacigem Relaxmöbel und einem Fernsehsessel von Joe Colombo. Günther Ueckers knurrige Nagelscheiben machen in diesem Kontext fast schon einen renitenten Eindruck. Dass Kunst immer auch Gegenentwurf, Infragestellung, Kritik war, kommt hier nur andeutungsweise vor. Der reinlich saubere und farblich sehr schön sortierte Kunststoffabfall des britischen Installationskünstlers Dan Tobin Smith steht hier fürs dezent Kritische, auch die „Hartz-IV-Möbel“ des Architekten Van Bo Le-Mentzel oder ein „Rag Chair“ aus weggeworfenen Kleidern von Tejo Remy. Die Fotos aus den Büroräumen der Google-Zentrale, wo Arbeit und Freizeit zimmerpflanzenumsäumt und leistungssteigernd zusammenfließen, könnten ebenfalls noch als kritisch durchgehen. Dann sehen wir aber wieder Wohnvisionen für Megacities, immer noch hoch hinaus, aber inzwischen ökologisch korrekt begrünt. Dass die Probleme unserer Städte vor allem auf sozialem Feld gelöst werden müssen, ist in dieser technikbeseelten Welt nicht angekommen. Dann gibt es da noch vier von der BASF in Auftrag gegebene künstlerische Arbeiten: brave Porträts von BASF-Mitarbeitern an ihrem Arbeitsplatz, eine Collage aus Werbefilmen, denen der Text der Schöpfungsgeschichte unterlegt wurde, und ein putziges Unternehmensporträt aus gezeichneten und gemalten Ansichten. Und auf dem Museumsdach lässt Luka Fineisen farbigen Rauch aufsteigen, um „der Ausstellungsinstitution den industriellen Charakter der BASF“ zu verleihen. Dass bei diesem Ausstellungsprojekt eine sehr große Nähe von kommunalem Museum und Chemieunternehmen besteht, hat man aber auch so verstanden. Die Ausstellung „Wie leben? Zukunftsbilder von Malewitsch bis Fujimoto“; Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen, bis 28. Februar, dienstags bis freitags 11 bis 18 Uhr (donnerstags bis 20 Uhr), samstags und sonntags 10-18 Uhr. Katalog 29,80 Euro, kostenlose App zur Ausstellung.

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