Kaiserslautern Mein lieber Schieber

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Ein Rechenschieber sei vor allem bei den Grundrechenarten, vorzugsweise bei Multiplikation und Division, eingesetzt worden, hieß es vor zwei Wochen in unserem „Gibt es das noch?“-Aufruf. „Das stimmt so nicht“, widerspricht Hans Kahlen aus Dansenberg, Professor im Ruhestand. „Denn zu den ersten Grundrechenarten gehören die Addition und Subtraktion und diese beiden sind auf dem Rechenschieber nicht enthalten. Aber neben Multiplikation und Division kann mein Aristo noch x hoch 2, x hoch 3, Logarithmus von x, e hoch x, pi x, Winkelfunktionen wie Sinus, Cosinus, Tangens, Cotangens und noch einiges mehr.“ Seinen Rechenschieber habe er noch greifbar, sagt Kahlen: „Zwar nicht in meiner Schreibtischschublade, aber ich wusste sofort, wo er im Keller im Regal liegt.“ Zu seinem Aristo Studio habe er noch eine umfangreiche theoretische und praktische Einführung aus seinem ersten Studium. Pädagogisch überzeugend Als jemand, der alles aufhebt, wie er über sich selbst sagt, besitzt Gerd Rockenmeyer aus Erzhütten-Wiesenthalerhof noch vier Rechenschieber unterschiedlicher Bauart. „Das ist der vom Opa, der stammt noch aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg“, zeigt er auf ein Modell aus Holz. „Einen Rechenschieber für die Tasche habe ich noch von meinem Vater, von dessen Meisterkurs bei Pfaff. Damit konnte man multiplizieren und dividieren.“ Er selbst hat 1958 eine Lehre bei Pfaff als Mechaniker absolviert und abends die Berufsaufbauschule besucht. Den Rechenschieber von damals hat er natürlich auch noch. Später machte er das Abitur nach und war nach dem Pädagogikstudium als Grundschullehrer und aushilfsweise als Lehrer an der Berufsschule Kusel tätig. Fachrechnen, Fachkunde und Fachzeichnen unterrichtete er dort im Metallbereich. „Den Berufsschülern wurde das Rechnen mit Rechenschiebern anhand großer Modelle, die teilweise zwei Meter lang waren, beigebracht“, sagt er. „Wenn es um einfache Berechnungen, wie zum Beispiel 15 Mal 12 geht, ist es noch einfach. Aber sobald Kommastellen dazu kommen, wird es schwieriger.“ Ein Schülerexemplar aus Kunststoff im Normalformat nebst Anleitung gehört so selbstverständlich zu seiner Sammlung: „Davon habe ich immer bis zu 120 Stück bei Faber Castell bestellt, zum Preis von umgerechnet 10 Euro.“ Als Pädagoge ist er noch heute vom Rechnen mit Rechenschieber überzeugt: „Es fördert die Genauigkeit, weil man alles exakt einstellen muss, sonst stimmt das Ergebnis nicht. Vor allen Dingen lernt man Größenordnungen gut einschätzen und das Kopfrechnen wird gefördert.“ Er selbst hat sich gleich einen der ersten Taschenrechner von Texas Instruments gekauft: „500 D-Mark hat der gekostet, das war viel Geld.“ Die Fertigkeit des Rechnens mit dem Stabrechner beherrscht er immer noch. Das könne man nicht verlernen, meint er. Da seine Sehkraft ob des Alters nachgelassen hat, behilft er sich jetzt mit einer großen Lupe. Groß und Klein Über 50 Jahre alt ist das große Modell eines Rechenschiebers aus Beständen der Fachhochschule Kaiserslautern. „Als die damals ausgemustert wurden, dachte ich: Mensch, den nimmst du mit“, sagt Heinz Lange aus Morlautern. Mit stattlichen 1,70 Metern Länge und ganz aus Holz gefertigt ist das Teil ziemlich unhandlich und schwer. Um es besser fotografieren zu können, hat es der ehemalige Professor im Fachbereich Elektrotechnik am Garagentor festgemacht. Auf dem Wohnzimmertisch hat er weitere Exponate ausgebreitet. „Das ist mein Aristo Studio, den habe ich 1957 zu Beginn meines Studiums in Karlsruhe gekauft“, deutet er auf einen Rechenstab mit Handbuch. „Der hat mir während des ganzen Studiums gute Dienste geleistet. Einen weiteren für die Tasche, ganze zehn Zentimeter lang, habe ich ständig bei mir gehabt.“ Einen der ersten Taschenrechner von 1972 mit der Aufschrift „MBO Junior“ hat er ebenfalls dazugelegt: „Der hatte nur die vier Grundrechenarten und hat damals 300 D-Mark gekostet.“ Dazu besitzt Heinz Lange noch einen Abakus. Er ist ein Erinnerungsstück an seine Zeit als Dozent in Shanghai, wo er im Auftrag des Deutschen Akademischen Austauschdienstes tätig war. „Rechenschieber gehörten in den 1960er Jahren zu meiner Berufsausstattung“, schrieb Bernd Hemprich in die Redaktion. „Ich habe Hochbau studiert und abgeschlossen. Heute liegt meine Rechenschiebersammlung immer noch im Bücherregal zur Erinnerung und ich bin froh, dass ich sie behalten habe. Zu der Sammlung gehören ein Holz-, ein Leichtmetall und ein Kunststoffrechenschieber. Dazu noch zwei kleinere Kunststoffschieber, etwa halb so groß.“ Werkbank ausgeräumt Kurios ist die Begebenheit, von der Karin Schmitt aus Siegelbach vorvergangene Woche berichtete. Einen Tag vor Erscheinen des Aufrufs nach Rechenschieber-Geschichten, sei ihr Mann nach Hause gekommen und habe eben einen solchen mitgebracht. „Kennst du das da?“, habe er ihren 19-jährigen Sohn gefragt, der lediglich wusste, dass es etwas zum Rechnen sei. Der Ehemann habe nämlich anlässlich seines bevorstehenden Ruhestandes seine Werkbank ausgeräumt und sei dort fündig geworden. Das Rechengerät Marke Aristo habe er 1967 während seiner Ausbildung zum Schlosser benötigt, später nicht mehr. Nach Stationen beim Guss- und Armaturwerk und in der Feingussabteilung bei Pfaff war er zuletzt bei der Firma Bürstlein in Landstuhl als Fräser tätig – den Rechenschieber hatte er immer mit dabei. Und nun erhält er einen Sonderplatz zu Hause. Ob der Sohn damit jemals rechnen wird, ist nicht zu vermuten – aber die Funktionsweise wolle er ihm dennoch erklären. 101 Jahre alt und noch im Einsatz Eine Rarität aus dem Jahre 1915, also 101 Jahre alt und noch ganz aus Holz gefertigt, ist der Rechenschieber, den Maja Luters von ihrem Vater geerbt hat. Ihr Vater war Ingenieur und stammt aus Riga in Lettland. „Ich selbst habe damit während meiner Schulzeit auf dem Gymnasium gerechnet und es auch meiner Tochter beigebracht“, sagt die 77-jährige frühere medizinisch-technische Assistentin. Jetzt wolle sie es auch ihren Enkeln beibringen. Eine Vielzahl von Rechenoperationen seien damit möglich – doch sei sie trotzdem für Berechnungen auf Arbeit und zu Hause später auf einen Taschenrechner umgestiegen, sagt Maja Luters. Noch nichts verlernt Obwohl Gundolf Schmitt aus Hohenecken zwar seine Schulbücher von vor 60 Jahren „ad acta“ gelegt hat, hat er den Rechenschieber aus seiner Gymnasialzeit dennoch weiterhin in der Schreibtischschublade: „Immer wieder mal hatte ich den Rechenschieber in der Hand gehabt und damit voller Erinnerungen gespielt, also gerechnet“, sagt er. „Im Mathematik- und Physikunterricht der Oberstufe gehörte er einfach dazu, der Gebrauch wurde von den Lehrern gefördert.“ Auch bei Klassenarbeiten und in der Abiturprüfung ebenso wie bei den Hausaufgaben habe er mit diesem Hilfsmittel gerechnet. „Das Benutzen war denkbar einfach, wurden doch alle Grundrechenarten um eine Stufe herabgesetzt: aus der Multiplikation wurde die Addition, aus der Division die Subtraktion, aus Potenzrechnen die Multiplikation und aus dem Wurzelziehen die Division.“ Trotzdem sei das Kopfrechnen nicht abgeschafft worden, betont Schmitt. „Manchmal gab es einen Wettstreit zwischen Kopfrechner und Rechenschieber. Bei mir hat sich der Begriff Rechenschieber so tief ins Gedächtnis eingegraben, dass ich später, als wir mit dem Taschenrechner hantierten, diesen oft fälschlicherweise als Rechenschieber bezeichnete.“ In den Gebrauch eines Rechenschiebers eingewiesen wurde Waldemar Schnabel bei seiner Ausbildung in den 1960er Jahren auf einer Fachschule für Maschinenbau in Kasachstan. Der 77-Jährige kam im Jahr 1977 als Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion nach Kaiserslautern und hat bei verschiedenen Firmen gearbeitet. Allerdings hat er während seiner Berufstätigkeit, unter anderem als Einrichter für Nähmaschinen bei Pfaff, dieses Gerät nicht mehr benutzt. Zwei hat er noch zu Hause, einen davon vom Guß- und Armaturwerk. „Es ist schon sehr kompliziert und man muss sich wundern, dass richtige Ergebnisse rauskommen“, meint seine Ehefrau. Erinnerungsstücke Drei gut erhaltende Exemplare hat Elfriede Schulzki aus Hohenecken hat für den „Marktplatz Kaiserslautern“ aus ihrem großen Fundus von Gebrauchsgegenständen vergangener Zeiten herausgekramt: einen vom Onkel ihres Mannes, der in Berlin Ingenieur war und dort um 1920 studiert hat, und zwei von ihrem verstorbenen Ehemann, der Maschinenbau-Ingenieur war. „Aus seiner Studienzeit um 1950 herum“, weiß sie noch. Alle Rechenschieber bewahrt sie noch in den dazugehörigen Hüllen auf. Die Aufschriften auf den Skalen sind alle deutlich lesbar. „Der Rechenschieber war den Technikern vorbehalten“, erinnert sie sich. Sie selbst war in einem kaufmännischen Beruf tätig, wo der Einsatz eines solchen Hilfsmittels für Berechnungen nicht üblich gewesen sei. Ludwig Ditscher aus Siegelbach bewahrt drei Rechenschieber aus dem Nachlass seines Vaters auf, der bei den Eisenwerken beschäftigt war. An die Redaktion hat er ein Foto von den Dreien nebst Gebrauchsanleitung der Firma Nestler aus Lahr geschickt. Noch aus seiner Ausbildungszeit stammt der Rechenschieber der Marke Aristo von Walter Hager. Er habe ihn von seinem Onkel übernommen, der bei den Flugzeugwerken in Speyer tätig war. „In der Berufsschule gehörte der Umgang mit dem Rechenschieber damals zum Unterricht“, erinnert sich der 68-Jährige an seine Ausbildung zum Schlosser. 50 Jahre – von 1963 bis 2013 – war er bei den Eisenwerken, heute General Dynamics, tätig, anfangs im Fahrzeugbau und zuletzt als Lagerleiter. Den Rechenschieber habe er nach der Berufsschule nicht mehr benutzt, will ihn aber trotzdem als Erinnerungsstück in Ehren halten. Otto Koch hat seinen Rechenschieber Marke Aristo im Jahr 1970 für den Vorbereitungskurs zur Meisterprüfung als Gas- und Wasserinstallateur gekauft: „Für 17,30 D-Mark bei Büro Rügemer in Kaiserslautern“, weiß er noch genau. Sonderrechenstäbe Ein Foto mit einer Auswahl seiner Rechenschieber hat Karl-Heinz Fuhrmann an die Redaktion geschickt. „Ich habe Maschinenschlosser gelernt und in der Berufsschule mit dem Rechenschieber Zahnradberechnungen und vieles mehr durchgeführt“, erinnert er sich. Eine Besonderheit ist der „Sonderrechenstab Maschinenzeit“, der für die Berechnung von Maschinenlaufzeiten eingesetzt wurde. In seiner späteren Berufslaufbahn bei Pfaff und Opel habe er diese Werkzeuge jedoch sehr wenig gebraucht. Alois Naßhahn hat einen Rechenschieber der Marke Astro, mit dem die Gewichte von Blechen, Rund- und Flacheisen, Messing- und Kupferstangen ermittelt werden können. In seiner Ausbildung von 1968 bis 1971 hat er damit gerechnet. Später landete das Instrument in der Schublade.

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