Kaiserslautern „Liebe schreibt man groß“

91-80981839.jpg

Seit Mitte vergangenen Jahres dient das Berufsvorbereitungsjahr mit dem Förderschwerpunkt „Sprache“ (BVJS) der Aufnahme von schulpflichtigen Schülern ohne oder mit geringen Deutschkenntnissen. Zwei dieser Klassen sind zurzeit an der Berufsbildenden Schule (BBS) II Wirtschaft und Soziales eingerichtet.

Besucht werden sie von rund 60 Schülern. Es sind jugendliche Flüchtlinge, die an der BBS in Landstuhl, an der BBS I Technik und an der BBS II Wirtschaft und Soziales Mittwoch und Donnerstag Fachrichtungen der Berufsfachschule I als Regelschule besuchen. Dreimal die Woche, Montag, Dienstag und Freitag führt sie der Weg an die BBS II. Dort werden sie von Gunde Kurtz und Nino Meskhia unterrichtet. Beide Pädagoginnen sind studierte Sprachwissenschaftlerinnen und für Deutsch als Fremdsprache ausgebildet. Freitagmorgen, pünktlich um acht, beginnt Gunde Kurtz ihren Unterricht. Vor ihr sitzen Migranten aus Syrien und Afghanistan, Iran und Irak, Bulgarien, Ungarn und dem Kosovo. Wörterbücher für Arabisch und Albanisch liegen auf der Bank. „Wir beginnen mit einem Diktat. Denken Sie daran, welche Wörter groß und welche klein geschrieben werden.“ Alles, was man sehen könne und nach einem Punkt schreibe man groß, versichert sich ein Schüler. „Liebe schreibt man groß, obwohl man sie nicht sehen kann“, entgegnet die Lehrerin. „Also aufgepasst!“ Gar nicht so einfach für die Jugendlichen, die wenigen Sätze zu Papier zu bringen. Rückfragen und Wiederholungen häufen sich. Wen wundert’s. Ganz unterschiedlich ist die Vorbildung der Flüchtlinge. Die Spanne reicht vom Analphabeten über Schüler mit extremen Schreibschwierigkeiten. Von Jugendlichen, die bis zu fünf Jahre keine Schule mehr gesehen haben bis hin zu Teilnehmern mit einem Studienabschluss in englischer Sprache. Zur Integration fehlt ihnen die deutsche Sprache. Die benötigen sie, um dem Unterricht in der Regelschule in Mathematik, der Fremdsprache und in fachbezogenen Fächern zu folgen, sich im Alltag zurechtzufinden und für eine künftige Berufsausbildung. Für Gunde Kurtz und Nino Meskhia eine tägliche Herausforderung. 20 Wochenstunden Deutsch sieht das BVJS zur Förderung von Migranten vor. Wo und wie anfangen, wenn die Vorbildung so unterschiedlich ist, zur Verständigung parallel Wörterbücher und der Google-Online-Übersetzer benötigt werden, Arbeitsmaterialien fehlen und täglich neue Gesichter in der Klasse auftauchen? Heute ist es Melak, die plötzlich in der Klasse erscheint. Ein 17-jähriges Mädchen aus Syrien, schüchtern, gerade mal vier Monate in Deutschland. Jetzt wird das Diktat korrigiert. Dazu tauschen die Schüler den Text mit dem Nachbarn aus, vergleichen den Wortlaut auf dem Whiteboard, einer elektronischen Tafel, und markieren die Fehler. Und immer wieder Fragen, untereinander und an die Lehrerin. Zum Erlernen der deutschen Sprache holt Gunde Kurtz ihre Schüler ab, wo sie herkommen. Am Beispiel einer Vorlage, die Eniats Weg von Afghanistan nach Italien beschreibt, sollten die Schüler als Hausaufgabe ihre eigene Flucht beschreiben. Jeden Schülerbeitrag hat die Lehrerin zu Hause fehlerfrei wieder aufgeschrieben, 25 an der Zahl. Jetzt ist es an den Schülern, ihren eigenen mit dem korrigierten Text zu vergleichen, ihre Fehler selbst zu erkennen und sie mit einem Textmarker zu markieren. Zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt die Pädagogin nach der Pause, indem sie mit einigen Schülern Textaufgaben in Mathematik behandelt. Nicht immer würden die Jugendlichen jedes Wort und jeden Zusammenhang verstehen. Das sei auch nicht tragisch, verweist Gunde Kurtz auf das Erlernen der Sprache von Kleinkindern. „Auch die verstehen sofort nicht immer alles und erlernen nach und nach die Sprache.“ Wie sie ihren fast unlöslichen Lehrauftrag versteht? „Deutschland braucht schlaue Leute. Sie werden gebraucht. Hier ist ein Potenzial, das es zu sichten und zu fördern gilt“, so Gunde Kurtz, die sich oftmals wie eine Trainerin im Sport vorkommt. Petra Holighaus, stellvertretende Schulleiterin der BBS II, lässt auf die beiden Deutschlehrerinnen nichts kommen. „Sie sind Experten auf ihrem Gebiet und leisten ausgezeichnete Arbeit.“ Vom Deutschunterricht des BVJS profitierten die Flüchtlinge in den Regelklassen der Berufsfachschule I, ebenso die dort unterrichtenden Lehrer. Positive Erfahrungen hat Abteilungsleiterin Mona Richtscheid gemacht. Auch wenn die Schule für Flüchtlinge eine ganz andere Welt sei, seien sie froh, den Unterricht zu besuchen. „Sie sind freundlich, zuvorkommend, hilfsbereit, lernwillig und allgemein gut erzogen“, weiß die Pädagogin. Entspannen wird sich die Unterrichtssituation im BVJS, wenn demnächst an der BBS Landstuhl und an der BBS I in Kaiserslautern eigene Sprachklassen eingerichtet werden. ZUR SACHE

x