Kaiserslautern Klingendes Kompendium der Orgelliteratur

Warum konzertiert ein Orgelvirtuose und renommierter Hochschulprofessor sowie Intendant des Baltic Sinfonic Orchestras in Personalunion wie Roman Perucki bereits zum 29. Mal in der Friedenskirche? Damit tauschte er auch am Samstag wieder das inspirierende Fluidum von monumentalen Kathedralen – wie jene seiner Wirkungsstätte in Danzig – mit der kleinen, familiären Friedenskirche und dort die Oberlinger-Orgel mit den sonst gewohnten, wesentlich größeren Denkmalorgeln.

Der familiäre Charakter der sehr gut besuchten Veranstaltung dürfte ein Grund sein, aber Perucki schätzt auch die besondere, akkurate Ansprache des Tastenanschlags, die besondere Einheit aus Klang und Raum – ebenso wie die Möglichkeit, hier konzertante Orgelwerke aus allen Stilepochen adäquat und werkgerecht aufführen zu können. Dies wurde am Samstag deutlich, als er mit ungewöhnlich klar strukturierten Barockwerken begann und man Kompositionen wie Johann Pachelbels Variationszyklus oder Johann Sebastian Bachs Fantasie (mit Fuge) in a-Moll in dieser plastischen Linienführung hörte. Die neobarocke Oberlinger-Orgel ist nicht nur optisch mit ihren Holzschnitzarbeiten ein Schmuckstück, sondern bringt die gestalterischen und kompositorischen Finessen wie Verzierungen, Skalenläufe und virtuose Umspielungen über Orgelpunkten (ausgehaltenen Melodietönen) sehr plastisch in dieser „trockenen“ Akustik zur Geltung. Kleinste Ungenauigkeiten oder Verzögerungen sowie Bruchstellen würden hier sofort wahrgenommen – doch die sucht man bei Perucki ohnehin vergebens. Vielmehr profitiert er von der Möglichkeit, hier satztechnische Finessen (Bach-Fuge), melodische Fortspinnungen (Sonate von Carl Philipp Emanuel Bach) und scharf punktierte Rhythmen (Marsch aus Divertimento von Willem Lootens) gestochen klar zu artikulieren und zu akzentuieren. Im RHEINPFALZ-Gespräch räumt er später allerdings ein, dass der Verzicht auf die opulenten Klangwirkungen großer Orgeln und deren räumliche Entfaltung hier den Schwerpunkt auf Akribie und Esprit, auf Brillanz und spielerische Eleganz verlege. Der stilistische Schwerpunkt lag bei der Musik des Barock-Zeitalters, die Entwicklungen vom Frühbarock der niederländischen Orgelschule Jan Pieters Sweelincks mit atemberaubender Virtuosität einer Fantasie mit Echowirkungen bis zu Raritäten wie Daniel Gronaus Choralpartita aufzeigte. Alles in bestechender, minuziöser spielerischer Präzision und Transparenz – wie es bei größeren Räumen und Orgeln schwerlich in dieser Vollendung vorstellbar ist. Und mit einer ansteckenden Spielfreude, die selbst bei einer frühklassischen Sonate des Bach-Sohnes Carl Philipp noch zu neuen Entdeckungen verleitet, weil alles eine Spur forscher erklingt. Dennoch wirken alle Klangbeispiele – so lebendig, mitreißend und brillant sie auch waren – aus ihrer inneren Struktur heraus und der sympathisch-bescheiden wirkende Gast aus Polen, Perucki, stellt sich nie selbst dar, sondern ist Diener und Darsteller der kompositorischen Besonderheiten. Selten lassen sich lineare Verläufe, Form- und Gestaltungsprinzipien (Sonate) sowie Stimmengewebe (Melodieführung, Begleitung, Basslinien) so stringent und transparent darstellen wie in dieser Synthese aus Klang, Raum und Interpretation. Und dieses glückliche Zusammentreffen ermöglicht – oder bedingt – auch weitere gewagte Raritäten und Kuriositäten, die sonst im Nachhall verwischt werden: Im Divertimento von Willem Lootens etwa die brillanten Variationen, von Alfred Lefebure-Wely der reißerische Bolero und in weiteren Zugaben aus seiner polnischen Heimat Raritäten aus dem 16. Jahrhundert der sogenannten Alten Musik. Im Charakter war dieses Rezital eher ein Gesprächskonzert mit fundierten Werkeinführungen; im Verlauf aber auch ein Bekenntnis – neben Akribie und Esprit – der Gestaltung zu einer Inspiration des Augenblicks mit einer Mischung aus Kreativität und Spontaneität bei der Ausgestaltung von langsamen Sätzen oder Choralmelodien. Kurz: Roman Perucki zog nicht nur an der Orgel alle Register seines überragenden Könnens. Es war ein klingendes Kompendium der liturgisch gebundenen und freien konzertanten Orgelliteratur.

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