Kaiserslautern Jenseits der Discokugel

Die SAP-Arena: ausverkauft. Das Publikum: bunt gemischt, aber im Wesentlichen der Generation Ü40 zugehörig. Eher Mittelstand aufwärts als Mannheim Jungbusch abwärts. Der Künstler: Deutschlands erfolgreichster Musiker. Herbert Grönemeyer gastiert auf seiner „Dauernd Jetzt“-Tour auch in der Kurpfalz, aus der mehr als die Hälfte seiner Bandmitglieder stammt. Das Konzert: ein Familientreffen. Und ein großes Fest. Großer Sport jedenfalls.

Am Ende, nach gut zweieinhalb Stunden Konzert inklusive eines ausgiebigen Zugabenteils und lange nachdem Herbert Grönemeyer die Menschen in der SAP-Arena zum kollektiven Sangesrausch verführt hat mit seiner WM-Hymne „Zeit, dass sich was dreht“, dreht sich noch mehr über den Köpfen der Musiker. Und auch, wenn sein erstes Album Ende der 1970er Jahre erschienen ist: Dass nun ausgerechnet beim Meister aus Bochum die Discokugel im Showprogramm Einzug hält, war so nicht zu erwarten. Am wenigstens wohl von ihm selbst. Dazu erklingt eine Remix-Version seines aktuellen Hits „Fang mich an“, die dem Grönemeyer, sagen wir mal des Jahres 2002, als sein erfolgreichstes Album „Mensch“ erschienen ist, die Zornesröte ins Gesicht getrieben hätte. Heute feuert er zu den Remix-Klängen die Konfettikanonen ab und macht aus dem Konzert endgültig ein großes Familienfest. So wunderbar entspannt, so lässig hat man den großen Herbert jedenfalls noch nie erlebt. Und jetzt tanzt er auch noch. Im schwarzen Anzug und in weißen Schuhen. Gut, was man so tanzen nennen mag. „Meine Anmut ist bekannt“, behauptet er selbstbewusst. Um sich dann durch sein „Fang mich an“ zu tänzeln, dass es eine wahre Freude ist. Für Herbert Grönemeyer jedenfalls, der sich so herrlich unverstellt freuen kann wie ein kleines Kind. Und doch hat er uns das Schönste sogar noch vorenthalten: „Ich trage normalerweise Ballerinas. Die habe ich aber weggelassen, das wäre sonst zu viel Erotik.“ Dieser Grönemeyer des Jahres 2015, der im nächsten Jahr 60 wird, ist der lässigste und sympathischste, den man je erlebt hat. Wer so viel Witze über sich selbst, über die eigene Figur wie über Songs, die von der Kritik abgewatscht wurden wie „Schiffsverkehr“, machen kann, der scheint mit sich im Reinen. Der hat einen Grad an Souveränität und Authentizität erreicht, die beneidenswert ist. Erfolg vernebelt eben doch nicht nur das Hirn. Er macht reifer, wie die schweren Schicksalsschläge, die dieser Mann auch wegstecken musste. Einer der berührendsten Momente in jedem Grönemeyer-Konzert ist der Augenblick, wenn er den seiner 1998 verstorbenen Frau gewidmeten Song „Der Weg“ anstimmt. Seine Fans lieben ihn, und sie leiden mit ihm. Die Treue ist unverbrüchlich, und sie beruht auf Gegenseitigkeit. Herbert Arthur Wiglev Clamor Grönemeyer galt lange Zeit als der große Besserwisser des deutschen Popbusiness. Westernhagen gab geschickt den rockigen Macho von der Straße, Udo Lindenberg den Chaoskapitän und Deutschrock-Erfinder. Grönemeyer machte einen auf Oberlehrer, zumindest in Interviews und sonstigen Auftritten. Seine Musik war ja schon immer Party-tauglich, und natürlich fehlen auch in Mannheim „Männer“, „Vollmond“, „Bochum“ oder „Alkohol“ nicht. Aber wenn sich die Presse über Textzeilen wie „Monotonie ist wie ein Schuss ins Knie“ lustig machte, reagierte Herbie ebenso unentspannt wie seine Fans, die es in ihrem Dauer-Angriffsmodus mit den heißesten Helene-Fischer-Verehrern aufnehmen können. Dabei ist doch alles gut. Weil Herbie so gut ist. So unfassbar cool als Tänzer, als Eintänzer und Einpeitscher, als Stimmungskanone, als Gute-Laune-Garantie, als Entertainer und als Musiker. Dieser Mann kann mittlerweile auf ein Lebenswerk zurückblicken, das wie ein Solitär in die deutsche Popbranche hineinragt – vieles, wenn nicht gar alles überragend. Und die Party ist ja nur die eine Seite der Medaille. Herbie nur der lustige Bruder von Herbert. Zwar streifen seine Anmoderationen nur an einer einzigen Stelle die Tagespolitik mit einer Breitseite gegen die Kanzlerin. Aber sein jüngstes Album „Dauernd Jetzt“ ist eben auch ein Statement, eine Botschaft. Und so hat er mit „Feuerlicht“ nicht nur einen der schönsten Popsongs des Jahres geschrieben, sondern eben auch ein emphatisches Fanal gegen das Elend und die Not der Afrika-Flüchtlinge angezündet. Ein Lied, das unter die Haut geht. Und mitten ins Herz zielt: „Nur eine Minute/Ruhig stehen,/Nur eine stille Nacht,/Die sich kümmert, mich bewacht,/die um mich weiß/Und nicht schweigt.“ Die Nummer kommt in Mannheim im Zugabenteil – und sorgt für Gänsehaut pur.

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