Kaiserslautern Im Schatten des Hügels

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Vor 50 Jahren, am 17. Oktober 1966, starb mit Wieland Wagner viel zu früh der große Hoffnungsträger von Neu Bayreuth. Ohne ihn gäbe es die Richard-Wagner-Festspiele womöglich gar nicht mehr. Viel mehr als sein 2008 verstorbener Bruder Wolfgang stand er für einen Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg und war doch auch tief verstrickt in Zeit- und Familiengeschichte. Vor dem Namen Wagner gibt es eben kein Entkommen.

Eine Familiengeschichte wie aus einer antiken Tragödie. Kabale und Intrigen, wohin man nur sieht. Seit dem Tod Richard Wagners 1883 herrscht der Clan auf dem Grünen Hügel, bis heute. Und bis heute dauern sie an, die Streitigkeiten unter den Erben. Hier die Wieland-Wagner-Linie mit Nike an der Spitze; dort die Wolfgang-Wagner-Linie mit Katharina. Dazwischen das Familienunternehmen. Der Auftrag. Und das Werk. Wagners Werk. Dabei schien nach 1945 alles gut zu werden. Zwei Brüder vereint im Einsatz für die Kunst. Wieland und Wolfgang Wagner teilten sich von 1951 an die Leitung der Festspiele, Wieland war künstlerisch verantwortlich, Wolfgang kaufmännisch. Bis zu Wielands frühen Tod 1966 blieb das so. Ein Aufbruch, politisch wie ästhetisch, dem der völlige Bruch mit der erst 1980 verstorbenen Mutter Winifred vorausging. Die empfing noch in den 1970ern die alten Nazi-Freunde, sprach mit ihnen über „USA“, „Unseren seligen Adolf“, und erinnerte die Brüder daran, dass diese doch einst so gerne auf dem Schoß von Onkel Wolf (so der Codename des Führers bei den Wagners) gesessen hätten. Wieland, der im Haus Wahnfried wohnte, wurde das irgendwann zu viel. Er ließ eine vier Meter hohe Mauer im Garten errichten. Fortan musste er seine Mutter nicht mehr sehen. Deren Haus, das Siegfried-Wagner-Haus, hat er niemals mehr betreten. Nach Wielands Tod ergriff Wolfgang die Gelegenheit zum Groß-Reinemachen. Die Witwe Gertrud wurde ebenso ausgebootet wie die Schwester Friedelind, auch für die Kinder seines Bruders sollte kein Platz mehr sein auf dem Wagner-Olymp. Vielleicht ja hatte Wolfgang mit dem Bruder eine Rechnung offen; vielleicht war er neidisch auf dessen künstlerisches Talent, das den Neuanfang Bayreuth erst möglich machte. Das eigene, organisatorische Talent immerhin sorgte für den jahrzehntelangen Machterhalt auf dem Hügel. Und dafür, wie Wolfgang Wagner das immer formulierte, dass „der Laden läuft“. Aber wenn über Neu Bayreuth gesprochen wurde, fiel immer zuerst der Name Wieland, auch wenn Wolfgang durchaus auch einen künstlerischen Anteil daran hatte. Aber es war eben Wieland, der die Bühne des Festspielhauses entrümpelte, der sich verabschiedete von Naturalismus und Historismus, von Fellkostümen und Helmen mit Stierhörnern – während Wolfgang noch bis zum Schluss durchaus Nürnberger Butzenscheiben- und Fachwerk-Romantik in Wagners „Meistersingern“ präsentierte. Da musste schon seine Tochter Katharina kommen, um all diesen Museumsballast hinauszufegen. Als die Brüder 1951 den Neuanfang wagten, sahen sie sich einer erzkonservativen Wagner-Gemeinde gegenüber. Avancierte, provokante Regiezugriffe waren noch unbekannt. Die Regieanweisungen des Komponisten galten als unumstößliche Gesetze. Wieland Wagner jedoch verstand das Werk seines Großvaters als überzeitlichen Mythos. Er sprach von „Zeichen“ und „Chiffren“, die es darin bloßzulegen galt und die in die jeweilige Gegenwart der Neuinszenierung übertragen werden müssten. Das Ergebnis: die Bühne als Scheibe, geometrische Formen, keine Konkretisierung. Für die Wagnerianer eine Zumutung, ja ein Skandal. Johannes Jacobi wütete in der „Zeit“: „Bayreuth ist unter die Antiwagnerianer gefallen.“ Dieser völlige Bruch jedoch war auch politisch nötig. Zu sehr waren die Festspiele in dem braunen Sumpf versunken, durchaus nicht nur in der Person von Wielands Mutter Winifred. Wieland selbst war des Führers Liebling, wurde vom Kriegsdienst befreit, durfte sich als ausgebildeter Fotograf und Maler als Bühnenbildner an den berüchtigten Kriegsfestspielen beteiligen. Die Dekorationen für die „Meistersinger“ 1943/44 stammen von ihm. Ende 1944 wurde Wieland Wagner dann doch zum Kriegsdienst eingezogen. Er leistete ihn im Institut für physikalische Forschung, das von einem gewissen Bodo Lafferenz gegründet wurde. Kennern der Familie Wagner sagt der Name Lafferentz etwas: Er war mit Verena Wagner verheiratet, der jüngsten Schwester von Wieland Wagner. Und er war ein strammer Parteisoldat. In seinem Institut, das der Rüstungsindustrie zuarbeitete, wurden Häftlinge als Arbeitskräfte eingesetzt. Häftlinge des KZ Flössenburg, in dem unter anderem der Theologe Dietrich Bonhoeffer kurz vor Kriegsende hingerichtet wurde. Das Bayreuther Institut war eine von zahlreichen Außenstellen des KZ. Wohlgemerkt: Es war kein Vernichtungslager, und Wieland hatte darin wohl auch nur untergeordnete Aufgaben übernommen. Aber die Erinnerung daran könnte schon wie ein schwerer Schatten auf ihm gelastet haben. Ein Schatten, den er nur loswerden konnte, indem er mit der Geschichte Bayreuths ebenso brach wie mit seiner Mutter, der nichts fremder war, als ein schlechtes Gewissen.

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