Kaiserslautern Im Himmel spricht man bayerisch

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Jedes Jahr an Allerheiligen zeigt das Bayerische Fernsehen den Film, das Stück war in München erst am Residenztheater ein jahrzehntelanger Dauerbrenner und wird nun am Volkstheater gespielt. In Bayern ist Kurt Wilhelms „Der Brandner Kaspar und das ewig’ Leben“ Kult. Dass sich mit dem tiefgründigen Mundartklamauk auch außerhalb der Landesgrenzen etwas anfangen lässt, hat nun in Mannheim Susanne Lietzow bewiesen.

Der weißblaue Freistaat weist eine Reihe von Eigentümlichkeiten und Privilegien auf, hier finden sich die schönsten Landschaften, der beste Fußballverein und die störrischsten Politiker. Allerdings macht der bayerische Eigensinn keineswegs Halt an der Grenze des Irdischen, bei profanen Dingen wie Stromtrassen oder Flüchtlingspolitik. Das Seehofermäßige greift auch hinüber ins Jenseitige, wo die Menschheit nicht einfach in Kandidaten für Himmel und Hölle aufgeteilt wird, sondern auf die Bürger Bayerns ein eigenes Paradies wartet. So ist das jedenfalls im „Brandner Kaspar“. Aus einer Erzählung seines Ururgroßonkels Franz von Kobell von 1871 hat Kurt Wilhelm hundert Jahre später ein Theaterstück gemacht und dabei dem sentimental-kauzigen Wilderer-Drama gleich noch ein paar komisch-barocke Himmelsszenen eingefügt. Man trifft hier also nicht nur den Büchsenmacher und Jagdgehilfen Brandner, der sein karges Krattler-Dasein am Tegernsee mit etwas Wilderei aufbessert und dem Tod, der ihn im 72. Lebensjahr abholen möchte, mit Hilfe von Schnaps und Kartenspiel 18 weitere Lebensjahre abgaunert. Der Theaterbesucher darf nun auch einen Blick in den Himmel werfen, wo Petrus, Maria und zwei derangierte Engel das Geschäft mit der Ewigkeit mehr schlecht als recht betreiben. Die aus Tirol stammende, mit alpinen Eigenarten also vertraute und dem Stück in fröhlicher Aufgeschlossenheit zugeneigte Regisseurin Susanne Lietzow hat nun, um die Exklusivität dieses bayerischen Paradieses zu unterstreichen, sich einen aktuellen Gag nicht verkniffen. Mitten in einen heftigen Streit in dem doch ziemlich verlotterten Himmelsladen, wo der Brandner nicht wie geplant eingeliefert wurde, seine in den Bergen verunfallte Enkelin dafür entschieden zu früh, da taucht plötzlich ein dunkelhäutiger Mann auf und begehrt Einlass. Da kratzen Petrus und sein Erzengel ihr Küchenenglisch zusammen und teilen dem Ankömmling in aller Deutlichkeit mit: „The Bavarian paradise is not for you!“ Er möge sich doch zurück zur Himmelspforte begeben und in der „waiting zone“ ausharren, bis sich irgendwer hoffentlich um ihn kümmern werde. Susanne Lietzow hat den Mundarttext für Mannheim in einem Kunstdialekt gezähmt, ist ansonsten mit ihrer Inszenierung aber nah dran an der volkstümlichen Vorlage, lässt sich ein auf die Sentimentalitäten der Arme-Leute-Geschichte, persifliert die soziale Hierarchie des Dorflebens und treibt mit dem Himmel ihren klamaukigen Spaß. Aurel Lenfert hat dafür ein Trumm von einem Berg gebaut, auf dem sich viel herumklettern und herunterrutschen lässt. Projektionen sorgen für Wetterwechsel, und nachts leuchten drüber die Sterne wie die Lichterketten im Biergarten. Oben am Berg thronen auch die bayerischen Götter wie im griechischen Olymp. Stefan Recks Petrus in weißer Lederhose hat längst den Überblick verloren, Almut Henkels Maria quäkt Dümmliches auch in Latein, Sven Prietz als Erzengel Michael kann mit seinem Plastikschwert nur begrenzt autoritären Schrecken verbreiten, und Jacques Malans übergewichtiger Putto-Engel pumpt zwar wie ein Maikäfer, erhebt sich aber erst nach kräftigem Biergenuss trudelnd in die Lüfte. Der Brandner ist bei Reinhard Mahlberg ein rechtschaffen-grantelnder Eigenbrötler, eher haariger Eremit als aufbrausender Kämpfer gegen das Unrecht in der Welt. Auch das Schlitzohrige entdeckt man hier erst auf den zweiten Blick. Star des Abends ist Boris Koneczny, der aus dem Boandlkramer, wie man den Tod in Bayern leutselig nennt, eine herrliche Mischung aus Gründgens Faust, Nosferatu und Rumpelstilzchen macht, eine fröstelnde Kalamitätenexistenz im altmodischen Gehrock. Die Arbeit macht ihm sichtlich keinen Spaß, wenn er sein Opfer zum Mitkommen zu beschwatzen sucht, verknotet er den gelenkigen Körper zu einer skurrilen Entschuldigungsverbiegung. Der Kirschgeist, den ihm der Brandner so großzügig kredenzt, kommt ihm da nicht ungelegen und in kumpelhafter Ausgelassenheit lässt er sich beim Kartenspiel betrügen. Auf einem dampfenden Ungetüm aus Motorrad und Leichenwagen kriegt er den nach dem Tod der Enkelin vom Leben enttäuschten Brandner am Ende dann doch noch ins Paradies, wo es aber, wie gesagt, gar nicht so himmlisch zugeht und sogar der Strom ausfällt. Aber die Trassen durch Bayern sollen ja jetzt gebaut werden, und damit wäre auch die Fortexistenz des weißblauen Paradieses fürs erste gesichert. Termine Weitere Vorstellungen am 10., 16. und 30. Juni, 8., 9., 14. und 24. Juli.

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