Kaiserslautern Hysterie im Zeichen des Kreuzes

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Eine Verdi-Entdeckung: Nach Mannheim 2013 hat nun auch die Oper Frankfurt Verdis Oper „Stiffelio“ wiederentdeckt. Die Inszenierung von Benedict Andrews beweist: Das vergessene Werk ist packendes Musiktheater mit zum Teil fiebrig aufgeladener Verdi-Musik.

Nein, glücklich geworden ist Verdi nie mit seinem „Stiffelio“. Die Uraufführung 1850 war ein Misserfolg, was vor allem daran lag, dass die Zensur im damals zu Österreich gehörenden Triest dermaßen heftig in das Libretto eingegriffen hatte, dass nur noch ein dramaturgischer Torso übrigblieb. Verdi wollte zumindest das musikalische Material retten und nutzte es nochmals für die Oper „Aroldo“, die 1857 uraufgeführt wurde. Doch auch diese Oper verschwand wie „Stiffelio“ in der Versenkung. Wenn heute „Stiffelio“ gezeigt wird, dann ist das einem Notenfund aus dem Jahr 1990 zu verdanken. Bis dahin glaubte man, die Partitur sei verschollen – eine Mär, die durchaus auch Verdi selbst erzählt hat. Dabei ist diese Oper so außergewöhnlich, dass sie eine Wiederentdeckung absolut verdient. Das gilt sowohl für die Handlung, als auch für die Musik. Moderner klingt Verdi nämlich eigentlich nur noch in manchen Passagen von „Otello“ und „Falstaff“, also in seinem Spätwerk. Aber die „Stiffelio“-Partitur ist mitunter nachgerade hysterische Musik. Nie war Verdi jedenfalls näher dran an den Abgründen der menschlichen Psyche, nie klang er mehr nach jener Nervenmusik, wie sie eigentlich erst mit der Jahrhundertwende und Richard Strauss Einzug hält in der Musikgeschichte. Die Figuren stammeln, stottern vor Erregung vor sich hin, die Musik mutet roh, unfertig, fast brutal an, ist nicht so geglättet und auf Hochglanz poliert wie vielleicht in „Traviata“ oder „Rigoletto“. In Frankfurt lässt sich das Opernorchester mutig auf dieses Abenteuer „Stiffelio“ ein. Unter Jérémie Rhorer agieren die Musiker unter Hochspannung, mitunter geht der junge Dirigent sogar ein zu großes Risiko ein, wenn es in manchen Ensembleszenen zu minimalen Verständigungsproblemen zwischen Bühne und Graben kommt. Die Bühne von Johannes Schütz wird dominiert von einer riesigen weißen Wand, in der sich zahlreiche Türen befinden, durch die die Personen auftreten. Davor befindet sich das Pfarrhaus, das, sobald es senkrecht aufgestellt wird, zum gewaltigen Kreuz wird. Die Wände dieses Hauses sind durchsichtig. Es gibt keine Rückzugsmöglichkeit ins Private. Linas Schande ist ebenso öffentlich wie ihre Sexualität. Regisseur Benedict Andrews zeigt eine Glaubensgemeinschaft, die irgendwo in Südamerika oder auch in den Vereinigen Staaten beheimatet sein könnte. Die Frauen haben alle dieselbe Frisur, tragen zudem knallig-bunte Kleider (Kostüme: Victoria Behr). Nur Lina ist in schwarz gekleidet. Eine ständige Bedrohung für die Gemeinschaft, in der Sexualität tabuisiert wird. Doch Lina möchte diese ausleben, verfällt den Verführungen Raffaeles ebenso wie sie ihren Vater viel zu nahe an sich heranlässt. Im Grunde sind dies alles nur Hilferufe, Schreie nach der Liebe ihres Mannes, der in seinem missionarischen Eifer vielleicht die ganze Welt retten kann, dabei aber die eigene Frau vergisst. Im letzten Bild steht Lina, nackt bis auf die Unterwäsche, ebenso entblößt wie bloßgestellt vor der versammelten Gemeinde. Von der Kanzel herab predigt ihr Mann, der sich in der Szene zuvor noch von ihr scheiden lassen wollte: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“ Zeit also für Vergebung? Für das große Happy End? Zweifel sind angebracht. Schließlich prügelt uns Verdis Partitur die letzten Akkorde der Oper regelrecht ins Ohr. Zutiefst verstörend, wie dieser ganze Abend. Der hatte in Russell Thomas als Stiffelio und Sara Jakubiak als Linda zwei stimmlich herausragende Protagonisten. Zwar merkt man bei Thomas, das er mit viel Druck und Kraft agiert, aber die Spitzentöne, die er katapultartig herausschleudert, sind von manchmal elektrisierender Wirkung. Stimmlich war ihm seine Partnerin mindestens ebenbürtig, zugleich zeigte sie Lina aber als zutiefst verunsicherte, von ihrer Umgebung eingeschüchterte, zum Hysterischen neigende Frauenfigur. Mit Dario Solari als Stankar war auch die dritte große Partie sehr gut besetzt. Termine 4., 7., 13., 25., 28. Februar; 3., 5., 12. März.

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