Kaiserslautern Goethes anstößiges Stöhnen

Kazim Aksar hat für das Istanbuler Staatstheater ein Bühnenstück über eine Liebschaft Goethes geschrieben. Diese Woche sollte es Premiere haben. Doch kurz vor der Erstaufführung wurde „Die untergehende Sonne ist groß“ kurzfristig abgesetzt. Das Kulturministerium will angeblich anstößige Passagen gestrichen sehen. Es ist nicht das erste Mal, dass die Regierung Einfluss auf die Kunst nimmt.

Die Opposition spricht von einem weiteren Beispiel für Versuche der konservativen islamischen Regierung, der Gesellschaft ihre Wertvorstellungen aufzuzwingen. Ercan Karakas, Vizechef der säkularistischen Partei CHP, warf der Regierungspartei AKP vor, den Künsten gegenüber „eine Haltung von Zensur und Druck“ an den Tag zu legen. Bei Aksars Goethe-Stück verlangte das Kulturministerium eine Verschiebung der Premiere und eine Streichung der beanstandeten Passagen. Daraufhin trat der Generaldirektor der türkischen Staatstheater, Mustafa Kurt, von seinem Posten zurück. Der Satz „Ich will mit dir schlafen“ gehört ebenso zu den gerügten Stellen wie die Zeile „Ich werde stöhnen wie ein Hase“. Kazim Aksar selbst will sich sein Werk nicht zerreden lassen. „Ich stehe hinter jedem Wort“, schrieb der türkische Autor und Regisseur auf Twitter. Der Zeitung „Hürriyet“ sagte er, die beanstandeten Textzeilen seien Zitate von Goethe selbst. Der Regierung gehe es aber nicht so sehr um das Stöhnen des Hasen, sondern um die generellen Botschaften seines Stückes, das sich unter anderem gegen den Druck der Mächtigen auf die Künste wende: „Deshalb wollen sie das Stück absetzen.“ Laut Aksar war der Text seines Dramas vom Kontrollausschuss des Staatstheaters zunächst durchgewinkt worden. Die Vertreter des Kulturministeriums in diesem Gremium hätten keine Bedenken geäußert. Erst nach der Prüfung durch den Ausschuss habe das Ministerium einige Passagen beanstandet, doch er habe nachträgliche Änderungen abgelehnt, sagte Aksar. Die AKP-Regierung handelt sich nicht zum ersten Mal den Vorwurf ein, die Freiheit der Kunst im Land zu beschneiden. In seiner Zeit als Ministerpräsident kritisierte der heutige Staatschef Recep Tayyip Erdogan eine riesige Skulptur des Bildhauers Mehmet Aksoy in Nordostanatolien, die zur Versöhnung zwischen Armeniern und Türken aufrief, als „monströs“, woraufhin die dortigen Behörden den Abriss beschlossen. Die Regierung sicherte sich zudem durch eine Neuordnung der Theaterverwaltung eine größere Rolle bei der Erstellung des Repertoires der Staatstheater und spielt seit Jahren mit dem Gedanken, die Theater zu privatisieren. Erst vergangene Woche sorgte ein anderer Zensurvorwurf beim Filmfestival in Antalya für einen Skandal. In der Sparte der Dokumentarfilme war ein Streifen über die letztjährigen Gezi-Proteste von der Festivalleitung aus dem Wettbewerb genommen worden, weil er angeblich Beleidigungen gegen Erdogan enthielt. Und erst dieser Tage hat das Kulturministerium Kompositionen des Pianisten Fazil Say, eines Kritikers der konservativen islamischen Regierungspartei, aus dem staatlichen Orchester-Jahresprogramm gestrichen. (Foto: dpa)

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