Kaiserslautern Geduldsspiele

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Um Cyberkrieg geht es im Berlinale-Wettbewerbsfilm „Zero Days“. Um Computerviren, die Atomkraftwerke, Stromnetze, Gaspipelines lahmlegen können. Kein Science-Fiction, sondern eine Doku. Was sofort glaubhaft ist, wenn gerade das eigene Smartphone – das zweite in Folge – abgeschmiert ist, sich dem Internet dauerhaft verweigert und ungerührt verkündet: „Server nicht gefunden“. Handyfasten also. Dazu passt „Genius“ ideal. Ein Film, der die Kraft des Wortes, ihr Bannen mit wirbelnder Hand auf Papier und die Kunst des Redigierens feiert: Colin Firth spielt den Lektor Max Perkins, der die ausufernden Manuskripte von Thomas Wolfe (Jude Law) in Form bringt. 5000 Seiten? Kein Problem! Rhythmisch wie Jazz kommt das schnell getaktete Streichen von Worten und Absätzen daher – auf dem Papier, wir schreiben 1929 –, was sicher freie Journalisten ganz anders betrachten als Redakteure. Firth sieht zwar wieder aus wie ein gehemmter Buchhalter, doch in seinem Perkins brennt die Liebe zur Dichtkunst. „Ja, schon wieder ein stiller Kerl im Anzug, aber ich finde Zurückhaltung stärker, als Dinge zu direkt zu sagen“, bekundet Colin Firth passend in Rolli und mit Hornbrille beim Pressetermin. Scherzt dann aber doch: „Wer mir mal eine Rolle in einem Männerbadeanzug anbieten möchte: Ich bin bereit!“ Zu Späßen sind mittlerweile aber immer weniger Journalisten aufgelegt, die Societyreporter sind wohl abgereist. Ernstes Interesse erntet Don Cheadle für den einzigen großen Musikfilm der Berlinale, „Miles Ahead“ über Miles Davis. Der Hauptdarsteller, Autor, Regisseur und Produzent – sogar im Internet sammelte er Geld –, lernte extra selbst Trompete: „Ich wollte einen Film machen, der sich wie Miles Davis anfühlt und klingt, keinen Film über ihn.“ „Alles, was man sich vorstellt, kann man auch machen“, sagt Michael Ballhaus nicht minder bewegt über seine Arbeit als Kameramann, für die er gestern den Ehrenbären erhielt. Über 130 Filme, 15 mit Fassbinder, doch die Initialzündung gab Max Ophüls: In jungen Jahren durfte er beim Dreh von „Lola Montez“ zusehen, erzählt Ballhaus. „Und da wusste ich: Es gibt nichts anderes für mich, ich muss Kameramann werden.“ Den Exzentriker Fassbinder überstand der nun 80-Jährige, weil er bewusst Distanz hielt. „Das war eine Schlangengrube, ich ging lieber heim zu meiner Helga und den Söhnen.“ Ballhaus sieht mittlerweile nur noch wenig, beim Gehen muss er gestützt werden. Doch er bleibt Profi, steht auf Wunsch der Fotografen minutenlang ganz aufrecht im Blitzlicht. Viel zu viel Sitzfleisch forderte gestern das große Geduldsspiel im Wettbewerb: Acht Stunden philippinischer Freiheitskampf anno 1896/97. Statt der Jury sitzt das Filmteam brav in Abendkleid und Smoking schon um 9.40 Uhr im Kino, Regisseur Lav Diaz mit grauem Zopf, Ziegenbart und schelmischem Blick als Rockstar in der Mitte. Viele Kollegen haben seit Tagen über „Hele Sa Hiwagang Hapis“ gestöhnt, obwohl in der Reihe Forum gar ein Zwölf-Stunden-Stück läuft. Nach 28 Minuten Geschichtsstudie haben die ersten genug, nach fünf Stunden schläft der Nebenmann. Durchhalten will der libanesisch-britische Redakteur, der seit 1976 zur Berlinale kommt und immer ganz vorn in der Warteschlange ist. Schon die 450 Minuten von Béla Tarrs „Satanstango“ 1994 im Forum schätzte er. „A Lullaby To The Sorrowful Mystery“ ist – obwohl in Schwarzweiß und meist nachts gedreht – weniger schroff: eine Lektion in Entschleunigung. Aber auch etwas künstlich-theatralisch. Es geht um Zufälle, die den Lauf von Geschichte beeinflussen, um Verrat, Gewalt, Durchhalten. Und es ist eine Hommage ans Kino, die Brüder Lumière kommen nicht von ungefähr vor.

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