Kaiserslautern Früher war mehr Mett

Kann also alles Mythos werden? „Ich glaube ja, denn das Universum ist unendlich suggestiv”, schrieb Roland Barthes in seinem Standardwerk „Mythen des Alltags”, in dem beispielsweise ein Citroen DS als „Kathedrale der Neuzeit” gewürdigt wird. Das war 1957. Durchaus denkbar, dass die Jetztzeit ähnlich geheimnisvoll geblieben ist. In einer losen Folge begeben wir uns auf Spurensuche in die Welt der Dinge und Typen. Heute: das Pausenbrot.

Zeitsprung in eine Kindheit in der Westpfalz. Der Weg in die Grundschule führte an einem Bäcker vorbei. Und so ein Bäcker hatte damals noch eben genau das im Angebot, was ein Bäcker, sofern er seinem Namen alle Ehre machen wollte, im Angebot haben musste: Brötchen, die natürlich Weck hießen, und Brot. Vielleicht noch einen Apfel-, Streusel- oder Käsekuchen. Letzteres eher am Wochenende. Menschen konnten ihre Brot- und Brötcheneinkäufe tätigen, ohne dass sie vorher eine Fortbildungsmaßnahme in Sachen Backkultur besucht hatten. Wer zehn Brötchen, also zehn Weck, bestellte, der bekam zehn Brötchen. Ohne dass die Verkäuferin hätte nachfragen müssen: „Welche Brötchen dürfen’s denn sein?“ Es gab nämlich nur eine Sorte. Ein Weck war ein Weck – und basta. Was es sonst noch gab an kleineren Backwaren, hatte exakte Bezeichnungen, die jeder kannte, jeder verwendete und die Verwechslungen ausschlossen: Kümmelweck. Milchweck. Und fertig. Dem Einkauf beim Bäcker ging vorher weder eine Sinnkrise noch ein tagender Familienrat voraus. Weil nämlich auch das Brot eben das war, was es sein sollte: ein Brot. Meist war das Mischbrot die Standardvariante, die es allenfalls in mehreren Größen gab: „Einpfünder“, „Zweipfünder“ und so weiter. Da es die Partei der Grünen noch nicht gab – in der westpfälzischen Provinz hat sich an diesem Zustand bis heute kaum etwas geändert – gab es auch kein Kornbrot. Vollkorn gar war eine Vokabel, die in der Grundschule gar nicht gelehrt wurde. Allenfalls das als Kastenbrot getarnte Weißbrot stand noch zur Auswahl. Aber das war eher etwas für Exoten. Dem Mischbrot hielten Bäcker wie Käufer unverbrüchlich die Treue. Zum Frühstück, zum Abendessen – und natürlich für das Pausenbrot wurde es verwendet. War das Brot noch ganz frisch, dann war auch der Pausensnack (keine Mensch hätte das damals so bezeichnet) ein Genuss. Am zweiten, dritten Tag wurde die Situation schon schwieriger – und das Zögern vor der Bäckerei immer größer. Hinter der Tür mit der Klingel lag das Ziel aller Sehnsucht. Doch wie anders als heute lockte das Back-Paradies. Bescheiden, aufgeräumt, übersichtlich angeordnet war das Angebot in einer Theke aus den 1950er Jahren. Während sich heute vor den Auslagen mit den Zwischenmahlzeiten (auch so etwas kannte niemand in der späten 1970ern) Schlangen bilden, weil sich die Schüler nicht entscheiden können, ob sie zu der Pizzazunge, dem Fleischkäsebrötchen, dem Camembert-Korneck, der Käse-Speck-Stange oder dem Mozzarella-Tomaten-Panini – um nur eine kleine Auswahl zu nennen – greifen sollen, ging es damals viel schneller. Auf den Weck, den es ja wie gesagt nur in einer Ausführung gab, kamen entweder ein Mohrenkopf (das Wort durfte man noch verwenden) oder ein bis maximal zwei Stücke von der großen und nach Kokos schmeckenden Schokolade, die der Bäcker stückchenweise verkaufte, wobei die Stückchen natürlich Rippchen genannt wurden. So ausgestattet, vergingen die Schulstunden bis zur großen Pause im Zeitlupentempo. Doch die Vorfreude auf die Pausendelikatesse trug einen selbst durch den Mathematikunterricht. Doch nach dem Genuss meldete sich sofort das schlechte Gewissen: Im Ranzen wartete ja noch das Pausenbrot

x