Kaiserslautern Faust verschluckt sich an Freuds Ursuppe

Es war eine Premiere, die einen in vielerlei Hinsicht ratlos zurückließ: Das Mannheimer Nationaltheater präsentierte am Freitag eine Neuproduktion der Berlioz-Oper „La Damnation de Faust“ in einer Inszenierung von Vasily Barkhatov. Dessen szenische Lesart verstrickte sich vor allem nach der Pause in ihrem dramaturgisch-theoretischen Überbau. Der erste Teil war zudem musikalisch nachgerade fragwürdig. Das Nationaltheaterorchester war unter der Leitung von Alois Seidlmeier jedenfalls sehr weit von seiner Bestform entfernt.

Wenn ein Opernabend mehr Fragen aufwirft, als er beantwortet, verheißt das nichts Gutes. Wo anfangen? Vielleicht beim Orchester: Warum passierten gerade in den ersten Bildern so viele Patzer, warum wackelte es quasi andauernd zwischen Graben und Bühne? Doch das Fragen nimmt ja kein Ende: Warum brennt am Ende der Oper ein Feuer wie auf dem Walkürenfelsen, wo Faust doch allenfalls den Brocken im Harz bestiegen haben könnte? Und warum essen alle ständig Suppe – das hatten wir doch jüngstens schon in der Inszenierung von Glucks „Alceste“ in Mannheim? Warum dirigiert und filmt der Mann vor mir ständig mit, wo doch das Geschehen auf der Bühne ohnehin schon allzu sehr von der Musik ablenkt? Schließlich: Warum sieht der Statist, der den jungen Faust darstellt, aus wie Mannheims Generalmusikdirektor Dan Ettinger? Und warum hat man Faust-Sänger Daniel Muehle so ausstaffiert, dass man ihn zumindest von Reihe elf aus betrachtet mit dem Mannheimer „Ring“-Regisseur Achim Freyer verwechseln könnte? Im Ernst: Diese jüngste Opernproduktion des Mannheimer Hauses muss man leider unter der Rubrik Fehlschläge verbuchen: vor allem musikalisch, leider auch szenisch, und zum Teil denn auch sängerisch. Aber der Reihe nach. Zu den bereits genannten Koordinationsproblemen kommt noch ein oft genug vergebliches Ringen des Orchesters um eine saubere Intonation. Schlimmer aber noch: Dem Klang mangelt es einerseits an jener brillanten Farbigkeit, die dem genialen Instrumentierer Berlioz so eigen war, andererseits mied Seidlmeier jedes Risiko, so dass man auf das Dämonische, Groteske und Bizarre von „Faust Verdammnis“ vergeblich hoffte. Da der von Anton Tremmel vorbereitete Chor oft sehr ungünstig postiert war, gelang es auch ihm nicht, die musikalischen Defizite bei der Premiere wettzumachen. Dies schaffte allenfalls Daniel Muehle als Faust, der diese höllisch schwere Partie nicht nur kräftemäßig durchstand, sondern seiner Stimme dabei auch stets lyrischen Glanz verlieh. Durchaus ansprechend auch die Marguerite von Marie-Belle Sandis, während Karsten Mewes in der Rolle des Méphistophélès keine wirklich glückliche Figur machte, weder darstellerisch, noch stimmlich. Regisseur Vasily Barkhatov erzählt im sehr variablen Bühnenbild von Zinovy Margolin und in Kostümen von Maria Danilova und Eleni Chava, die aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stammen könnten, zwei Parallel-Geschichten auf unterschiedlichen Zeitebenen. Da wäre einerseits der meist im Vordergrund der Bühne agierende, dem Tod entgegendämmernde und von einer Krankenpflegerin namens Marguerite betreute alte Faust. Im Hintergrund sehen wir Szenen aus dessen Kindheit und Jugend: den frühen Tod der Mutter, die Erziehungsmethoden des strengen Vaters, die Brutalität der Militärausbildung, zu der – soll man das nun einen Regieeinfall nennen? – der ja zum restlichen Geschehen so völlig querstehende „Ungarische Marsch“ endlich einen vermeintlichen Sinn bekommt. Zurückgekehrt vom Militär, fiebert der junge Faust der Begegnung mit dem Vater entgegen. Er hat sich endlich bewiesen, als mannhaft bewährt – und findet den Vater aufgebahrt als Leiche. Wohlgemerkt, davon erzählt die Berlioz-Komposition ebenso wenig etwas wie die Goethe’sche Vorlage. Der Mannheimer Faust hingegen imaginiert oder halluziniert – womöglich unter Drogeneinfluss – sich nun einen neuen Vater, der niemand anderes ist als Méphistophélès. Hier weniger als Verkörperung des Teuflischen, sondern als Inkarnation des Übervaters. Denn um einen Vaterkomplex im schlichtesten Freud-Sinne geht es dieser Inszenierung: Dieser Übervater-Mephisto vernascht die junge Marguerite im Park ebenso wie auf der Schulbank. Er ist der omnipotente Mann, Faust der impotente, der noch als alter todeswilliger Greis zuschauen muss, wie die von ihm schüchtern unter der Bettdecke vergötterte Marguerite von ihrem jungen Lover ins Schlafzimmer gezerrt wird. Als Pflegefall steht er ihrem Glück im Wege. Wer einen solchen Lebensabend verlebt, der braucht weder Teufel noch Höllenfahrt. Dem reichen zwei Kanister Benzin, und der Höllentrip namens Leben endet in einem finalen Feuer, indem er alles vernichtet, was mit ihm zu tun hatte. Das mag ja zum Teil zur Illustration von Kafkas „Brief an den Vater“ dienen, der im Programmheft zitiert wird. Mit Faust hat dies allerdings nichts zu tun. Der leidet ja an vielem, an Hormonüberdruck ebenso wie an Wissens-Überdurst und der Hybris des Naturforschers. An einem Vaterkomplex jedenfalls nicht. Man wüsste auch gar nicht, wer das sein sollte, Fausts Vater. Der Teufel dann doch wohl eher nicht. .

x