Kaiserslautern Für immer jung

Kann ja sein, liebe Frauen, dass die besten zehn Jahre des eigenen Lebens die „zwischen 29 und 30“ gewesen sind. Der Deutschen Lieblingsjahrzehnt aber sind die Achtzigerjahre des letzten, bereits abgelebten Jahrhunderts, wie eine repräsentative Umfrage des Instituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presseagentur ergeben hat. Das Zeitalter der Clogs, Schulterpolster, pastellfarbenen Sweatshirts (von Marc O’Polo), an die Jeans genähten Bordüren, Farah-Fawcett-Locken, auf „Petting statt Pershing“-Demos getragenen Militärparkas. Echt jetzt? Ästhetisch betrachtet sind die Achtziger ja eigentlich eine Zeit, die Helene Mierschieds Sachbuch „Vokuhila. Als scheiße aussehen Mode war“ schon im Titel hinreichend wiedergibt. Das heißt, ganz zu schweigen vom großen Rest, vom Waldsterben, dem Papst-Attentat, dem Aids-Aufkommen, von Tschernobyl, Golf- und Falklandkrieg, von Franz-Josef Strauß und Modern Talking. Und, dass die Kanzler immer Helmut heißen mussten. Rund ein Viertel (23 Prozent) der Befragten jedenfalls gibt schmerzfrei an, am liebsten in den 80ern leben zu wollen. Dem Jahrzehnt, das Depeche Mode, The Cure, Prince hervorbrachte. Aber auch die monegassische Pop- und Real-Prinzessin Stéphanie („Irresistable“). Und in dessen Endphase David Hasselhoff den antifaschistischen Schutzwall an der deutsch-deutschen Grenze niedersang. Es folgen die 70er Jahre (Aufbruch, Ölkrise, RAF, Led Zeppelin, ein Hinweis, den wir dem drahtigen Wolfgang, 56, verdanken) mit 18 Prozent. Die 90er (Love Parade, Pop-Literatur, zwei FCK-Meisterschaften) und die aktuellen 2010er Jahre (Size zero, Pegida, Burnout), bevorzugen jeweils 13 Prozent. Dann erst kommen die Sechziger (Beatles, Windeln) mit neun Prozent Präferenz, die Nullerjahre (fünf Prozent) sowie die 50er (vier Prozent). Die beiden Jahrzehnte davor waren nicht im Rennen um die Gunst der Dezenniums-Liebhaber. Nun ja, aus – Gründen -, nehmen wir mal an. Warum ausgerechnet die Zeit von „Dallas“, dem jungen Mann, der sich später als Boris Becker herausstellte, und Nena („99 Luftballons“) so beliebt ist? Es soll mit der „Kultur“ zu tun haben, sagen die Meinungsforscher. Gut, es gab auch Kraftwerk, Michael Jackson, Die tödliche Doris, The Smith und ein paar gute Witze wie den vom Manta-Fahrer, der eine Deutschlandfahne kaufen will. In welcher Farbe es die den gebe, fragt er den Verkäufer. Der sagt: „Schwarz-Rot-Gold“. „Ok“, meint der Mantafahrer, „dann nehm„ ich die in Gold.“ Wichtiger für die Verteilung der Präferenzen als die Humorsituation dürfte allerdings doch sein, dass jugenderinnerungsselige „Baby Boomer“ wie gewohnt ihre Meinungsdominanz ausüben. Leute zwischen 40 und 55, die nach und nach aus der Jetztzeit kippen, die leider etwas heftiger getaktet ist, als in den Eighties mit ihren ersten Handys, bodybuilderunterarmgroß und so teuer wie ein Kleinwagen. Der geburtenstärkste Jahrgang in der bundesrepublikanischen Geschichte ist nun mal 1964. Und vorher und nachher kamen auch Einige zur Welt, bevor die Pille die Demografie knickte. Und fast alle sehnen sich die, ähäm, sehnen wir uns alle (fast), nun mal zurück in eine noch für alles offene Gegenwart, in der Alphaville für „Forever Young“ intonierte. Weil? Die Songverheißung ist dann doch nicht eingetreten, wie sich jeden Morgen im Spiegel checken lässt. Und sowieso ist ja früher alles besser gewesen, sogar die Zukunft, wusste schon Karl Valentin. Die Trendforscher sprechen bei derlei Phänomenen gerne von „Retro-Inseln“, auf die sich jetztzeitgeplagte Geister gedanklich gerne zurückziehen. Kleine Fluchten aus der Gegenwart der Überforderung, als die auch die ewigen 80er-Mottoparties und epischen A-ha-Abschiedskonzerte durchgehen. Und tatsächlich: Es muss einem analog-digitalen Zwitterwesen – wie uns –, das in einer Welt ohne WhatsApp aufwuchs, irgendwie erholsam erscheinen, heimzukehren in die mediale Antike. Eine Nostalgie, die Geräte wie Hemingwrite bedienen. Ein tragbarer Computer. Etwas größer als ein Laptop. Kleines, monochromes Display. Sieht exakt so aus wie die letzten elektrischen Schreibmaschen, die es in den Achtzigern gab. Und hat ausschließlich deren Funktion. Man will weg vom Optimierungswahn, von Genderdiskussionen, Tinder, Twitter, Pinterest, 120 Mails am Tag. Google, weil kein Kind mehr einen gescheiten Erwachsenen was fragt. Manchmal will man das. Oft. Die Dynamik der Bewegung, rückwärts. Auch, weil die Zukunft unklar erscheint wie nie. Umkehren ins heilsame Glottertal, wo Dr. Brinkmann in der „Schwarzwaldklinik“ ohne Nebenwirkungen von Gesundheitsreformen praktiziert. Und Sascha Hehn nicht in Frauen-in-Führungspositionen-Diskussionen verwickelt wird. Beseelt will man aussteigen aus seinem Facebook-Netzwerk, der Selfies satt, dorthin, wo kein Shitstorm wüten kann. Wo jeder zu wissen schien, wo es lang geht. Eine Heimat, in der noch nie jemand war, um den alten Ernst Bloch heranzuzitieren. Als eine heile Kinderwelt beschrieb einmal der Florian Illies in seinem Bestseller „Generation Golf“ die Lebenswirklichkeit in den 80er Jahren. Markenklamotten waren wichtig. Samstags wurde im Kapuzenbademantel „Wetten, dass …?“ geschaut. „Niemals wieder“, schreibt Illies, „hatte man in späteren Jahren solch ein sicheres Gefühl, zu einem bestimmten Zeitpunkt das Richtige zu tun“. Genau! Wie man heute so schön sagt.

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