Kaiserslautern Exilant in der Heimat

Morgens, wenn er wach wird, denkt Rafik Schami an Damaskus. Wehmütig. Glücklich, wenn er sich an die Stadt seiner Kindheit erinnert. In Sorge jetzt. Die Schwester des ein bisschen weltberühmten Autors lebt (in) Syrien, immer noch. Im Kriegszustand. Sie wird bleiben, Rafik Schami hier sein, in Marnheim, Pfalz. Wie seit Jahrzehnten. Kein zurück. Immer noch unerwünscht in Syrien. Ein Exilant. Sie lacht am Telefon. Auch, weil jemand mithört. Was bleibt ihr sonst? Das Lachen, das ihre Würde bewahrt. Was bleibt ihm? Das Hoffen, sein Lebens-Impuls. Nicht weinen, auch wenn das Sommerhaus der Familie zerstört ist. Lachen. All die Bücher des Vaters, die Handschriften. Die Bibliothek des gelehrten Bäckers, verloren. Gesammelt, aufbewahrt, weg. In Maalula, einem Urchristenort im Qalamun-Gebirge, 56 Kilometer von Damaskus entfernt, steht das, was von dem Haus geblieben ist. Wo er, Schami, als Kind die Sommermonate verbrachte. Die Kirche dort soll die älteste der Welt sein. Lachen. Öfter schon wurde Rafik Schami gefragt, wann er bekehrt worden sei. Er, der Ur-Christ. Was für ein Dienstagabend in Landau. Draußen parkt ein Polizeiwagen. Im Alten Rathaus bleibt vielen nur ein Stehplatz. Auf der Bühne sitzt Rafik Schami. Für drei Tage eine öffentliche Person, Stadt-Promi, zum offiziellen Poetikdozent der Uni Koblenz-Landau ernannt. Und neben ihm, leicht eingesunken im Bühnensessel, Martin Durm, Arabien-Experte, SWR-Journalist, Pfälzer. Er, Durm, fragt ihn, Schami, über sein Leben aus, nein, lädt ihn ein, zu erzählen. Ob er an Damaskus denke. Und was noch so. Wie das ist, in der Pfalz zu leben, 3908 Kilometer von Damaskus weg. Was es mit seinem Verein Schams, der syrische Kinder unterstützt, auf sich hat. Arabisch-sprachiger Einstieg. Durm, Korrespondent in Kairo gewesen, ist – als Reporter - immer wieder in Syrien, Ägypten, dem Jemen unterwegs. Er, der aus Rodalben stammt, spricht dieses westpfälzisch unterströmte Hochdeutsch. Schami, der sich seine Literatursprache erwarb, indem er Thomas Mann und Heinrich Heine abschrieb, er sagt „Alla hopp“, schmunzelnd, in seiner ganz eigenen Redefärbung, in warmem Deutsch. Erzählgenie Schami. Herztonfall, Ganzkörpersprache. Frageheld Durm, ernster Mann, leiser Humor. Zwei, die sich schätzen. Zwei Stunden reden sie über das Abenteuer Leben. Er habe, ernsthaft, mit den Tränen gekämpft, wird mein Nachbar (Name der Redaktion bekannt) nachher sagen. So viel Zuhörerglück. Reden über Syrien, den fast schon Bürgerkrieg, der herrscht. Gangster bekämpften sich, sagt Schami sinngemäß. Schuld sei dieses verfluchte, in Sippen verhaftete Denken, gegen das auch kein Studium in London helfe. Erzählen von einem, der sich Rafik Schami nennt, Damaszener Freund. Eigentlich heißt er Suheil Fadél. Wie er mit 16 Wandzeitungsredakteur wurde. Mit 25 sein Land verließ, mit Herzeleid und einem Koffer voll Manuskripten. Und wie er ankam hier, in der Literatur erst, dann in Heidelberg, schließlich in Marnheim bei Kirchheimbolanden, Donnersbergkreis. Und wie er zurückkehren werde, eines Tages. Als Sieger über das Regime. Bestimmt. Erzählen über das Hoffen. Über das Deutschsein und das Damaszenerbleiben. Das Dazwischen. Das Exil. Sein Zuhause. Die Frage, auf die alles hinausläuft, stellt Durm, wann auch sonst, zum Schluss. Ob er, Schami, sich nicht eigentlich in einem Paradox befinde. Er, Schami, ein Exilant in der Heimat? „Ja“, sagt da Schami, „stimmt“.

x