alt – arm – allein Eröffnung der Weihnachtsspendenaktion: Die Schicksale von Maria, Doro und Elvis

Die Festansprache hielt in diesem Jahr die aus Kaiserslautern stammende Journalistin und Autorin Christina Bacher, die seit 2007
Die Festansprache hielt in diesem Jahr die aus Kaiserslautern stammende Journalistin und Autorin Christina Bacher, die seit 2007 in Köln lebt und wirkt.

Sie läuft, die 27. Auflage der Weihnachtsspendenaktion „alt – arm – allein“. Bei der Auftaktveranstaltung am Sonntagabend in der Apostelkirche stellte die in Kaiserslautern geborene und aufgewachsene Autorin und Journalistin Christina Bacher das Schicksal von Obdachlosen ins Zentrum ihrer Ansprache. Hans-Joachim Redzimski, der Erfinder der Altenhilfe, beschwor den Geist der Gemeinschaft.

Das Wichtigste in Köln? Der Dom vielleicht? Oder der Zoo? Christina Bacher lag weit daneben, als ihr diese Frage von Rolf, einem Obdachlosen, dereinst gestellt wurde. Nein, es sei das Gräberfeld für Obdachlose auf dem Kölner Südfriedhof, erhielt sie zur Antwort. „Das ist die einzige Adresse, die ich in meinem Leben haben werde.“

Bacher, in Kaiserslautern geboren und aufgewachsen, lebt seit 2007 in Köln. Dort ist sie die Chefredakteurin von Deutschlands ältester Straßenzeitung „Draußenseiter“. Die Zeitung kann von Obdachlosen erworben werden, die sie dann für das Doppelte weiterverkaufen, berichtet Bacher. „Es ist kein Almosen, sondern eine Möglichkeit, ein kleines Zubrot zu verdienen und sich einer Aufgabe zu stellen.“

In ihrer rund 25-minütigen Ansprache in der Apostelkirche berichtete sie auch von ihren Begegnungen, stellvertretend beleuchtete sie die Schicksale von Obdach- oder Wohnungslosen, Leute wie Rolf oder Lothar – „einer der belesensten und klügsten Menschen, die ich kenne“ (Bacher), der sein altes Leben als Ingenieur an den Nagel hängte, um fortan in einem Zelt im Stadtwald zu leben.

Maria, Doro und Elvis

Bacher berichtete auch von Doro, der einstigen Krankenschwester, die gerne fotografiert und Geige spielt, die am Sonntag Geburtstag hatte. Auf einer Reise nach Chile verliebte sie sich, wurde schwanger, trennte sich aber dann vom Vater ihrer Tochter. Eine psychische Erkrankung zwingt sie dazu, nach Deutschland zurückzukehren. Sie war eine Zeitlang obdachlos, kam mit ihrem Leben nicht zurecht, fühlte sich wurzellos, berichtete Bacher. Vor 15 Jahren kam sie zur Emmaus-Gesellschaft, hat nun wieder einen Platz zum Leben und Arbeiten. „So lange man Menschen hat, die einem wohlgesonnen sind, ist alles halb so schlimm“, überbrachte Bacher Worte von Doro, die am Sonntag 68 Jahre alt wurde.

Maria ist 78 Jahre alt, sie ist wohnungslos, nicht obdachlos, ein Unterschied, den laut Bacher die meisten Menschen nicht kennen. Obdachlose leben auf der Straße, schlafen unter Brücken, Wohnungslose haben zumindest eine Anlaufstelle, übernachten bei Freunden oder in von der Stadt angemieteten Hotelzimmern. Maria führt ein Freudebuch, ein Album, in das sie Erinnerungsstücke aus ihrem Leben klebt. „Von Menschen wie Maria kann man viel fürs Leben lernen. Sie bewahrt sich die kleinen, schönen Momente auf“, sagte Bacher.

Die schönste Zeit im Leben von Elvis war die, die er bei einem Schaustellerbetrieb auf den Kerwen in Kaiserslautern auf dem Messeplatz verbrachte. Dort verliebte er sich, doch seine Verlobte starb tragisch und unerwartet. Ein Ereignis, das ihm das Herz gebrochen habe. Jahre später lebt er heute unter der Zoobrücke in Köln. Sein wertvollster Besitz ist die Musik von Elvis Presley, seinem Seelenverwandten, der auf ihn aufpasse. „Do konn mer nix passiere“, zitierte Bacher den Über-70-Jährigen. Das sei allerdings nicht ganz richtig. Die Gefahr, eines gewaltsamen Todes zu sterben, sei für Obdachlose 50-mal höher als für andere Menschen, sagte Bacher.

In Deutschland waren laut einer Statistik des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales am 31. Januar 2022 rund 263.00 Menschen wohnungslos, rund 40.000 Menschen davon gar obdachlos. In Finnland begegne man Obdachlosigkeit etwa mit dem Konzept „Housing first“, was übersetzt etwa „Zuerst eine Wohnung“ bedeutet. Dort bekämen Betroffene ohne Bedingungen eine Wohnung, erst dann kümmerten sich Betreuer und Experten um die individuellen Bedürfnisse. „Um ein Kind aufzuziehen, brauche es ein ganzes Dorf“, führte Bacher ein afrikanisches Sprichwort an. „Ich würde es heute umdichten wollen: Um einen obdachlosen Menschen zu retten, braucht es eine ganze Stadt: Schauen wir nicht zu, dass uns die Leute vor der Nase wegsterben“, appellierte Bacher.

Erfinder von „alt – arm – allein“: Hans-Joachim Redzimski.
Erfinder von »alt – arm – allein«: Hans-Joachim Redzimski.

„Von Mensch zu Mensch“

Den zusammenwirkenden Einsatz einer Gemeinschaft griff Hans-Joachim Redzimski, der Erfinder der Altenhilfe, in seinen Gedanken zum Schluss der Veranstaltung noch einmal auf. „Es ist der Arm, der sich um die Schulter des anderen legt, es ist die Zuwendung des Stärkeren dem Schwächeren, es ist die Hilfe von Mensch zu Mensch“, sagte Redzimski. Er dankte für die „gemeinsame Arbeit, die in der Altenhilfe das ganze Jahr über geleistet“ werde. „Jeder an seiner Stelle nimmt einen wichtigen Platz ein, damit das große Ganze gelingt.“ Miteinander für einander da zu sein – „das ist das Credo von ,alt – arm – allein’, das ist der Geist von Gemeinschaft“, bekräftigte Redzimski.

Dankte für den Einsatz der Altenhilfe: Oberbürgermeisterin Beate Kimmel.
Dankte für den Einsatz der Altenhilfe: Oberbürgermeisterin Beate Kimmel.

Kaiserslauterns Oberbürgermeisterin Beate Kimmel (SPD) nahm Bachers Anregung des Konzepts „Housing first“ auf und versprach, es gemeinsam mit den in der Apostelkirche anwesenden Stadträten zu thematisieren. Altersarmut sei in der Stadt „weiterhin bittere Realität“, sagte Kimmel. Die Kommune könne sich nicht allein dagegen stemmen, weshalb sich Kaiserslautern „glücklich schätzen kann, dass wir ,alt – arm – allein’ haben“, unterstrich die Oberbürgermeisterin, die stellvertretend dem Vorsitzenden Werner Stumpf für das Engagement und den Einsatz der Altenhilfe dankte.

Hatte gleich eine Spende dabei: Landrat Ralf Leßmeister.
Hatte gleich eine Spende dabei: Landrat Ralf Leßmeister.

Einsamkeit wiegt schwer Landrat Ralf Leßmeister (CDU) nannte die Arbeit von „alt – arm – allein“ einen „zentralen Beitrag zum sozialen Frieden in Stadt und Landkreis Kaiserslautern“. Aus seiner Zeit als Ortsbürgermeister berichtete Leßmeister von runden Geburtstagen älterer Menschen, an denen er der einzige Gast gewesen sei und unterstrich, dass Einsamkeit eine Armut sei, die besonders schwer wiege. Auch hier setze die Arbeit von „alt – arm – allein“ an, die „mit Empathie und kleinen Gesten sehr viel erreichen“ könne. Leßmeister hatte ein Kuvert dabei und war damit quasi der erste offizielle Spender der gerade gestarteten Aktion.

Begrüßte zum Auftakt die Gäste: Pfarrerin Nicole Bizik.
Begrüßte zum Auftakt die Gäste: Pfarrerin Nicole Bizik.

Nicole Bizik, Pfarrerin der Apostelkirchengemeinde hatte die Veranstaltung mit einem Grußwort eröffnet und dabei ein Zitat aus dem Matthäus-Evangelium herangezogen. „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder oder für eine meiner geringsten Schwestern getan habt, das habt ihr für mich getan“, heißt es da. Das beschreibe die Haltung von „alt – arm – allein“, sagte Bizik: „Hilfe, ohne zu wissen, wen ich vor mir habe.“

Glaubt an das Gute: RHEINPFALZ-Chefredakteur Yannick Dillinger.
Glaubt an das Gute: RHEINPFALZ-Chefredakteur Yannick Dillinger.

John Lennons Utopie

Musikalisch mitgestaltet hatte den Spendenauftakt der Moderne Chor der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität (RPTU) Kaiserslautern-Landau (Leitung: Alexis Wagner). Der Chor hatte die Veranstaltung eröffnet und beendet mit dem gleichen Stück: mit „Imagine“ von John Lennon. Darin zeichnet der Ex-Beatle träumerisch eine Welt, in der es keinen Hunger und keine Gier mehr gibt, in der die Menschen gemeinschaftlich zusammenleben. RHEINPFALZ-Chefredakteur Yannick Dillinger zeigte sich eingangs seines Grußwortes „immer noch gefangen“ in dieser Utopie. „Da bin ich gern Naivling und möchte an das Gute glauben.“ Die Realität sei aber leider eine andere. Er erlebe viele Menschen, die „verzwöpft“ seien, sagte Dillinger und nutzte dazu einen aus den Worten „verzweifelt“ und „erschöpft“ zusammengesetzten neuen Begriff. Das sei ein Zustand, der bei vielen armen Menschen an der Tagesordnung sei. Er appellierte daran, einen Beitrag zu leisten für die, die „alt, arm und allein“ sind. Mit Spenden könnte jenen Menschen geholfen werden. „Mit ihrem Einsatz beweisen Sie, dass nicht jeder Held einen Umhang trägt.“

„The Show must go on“

Die Interpretation des Stücks „The Show must go on“ der Rockgruppe Queen, den der Moderne Chor vor den Schlussworten von Redzimski bot, war symptomatisch: Die Show, in diesem Falle die Spendenaktion geht in eine neue Runde. Das muss sie vielleicht sogar, denn die Anzahl der Menschen, die auf Hilfe, wie sie von „alt – arm – allein“ angeboten wird, angewiesen sind, ist nicht kleiner geworden. „Die Spenden sind leider notwendig“, formulierte es Dillinger.

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