Kaiserslautern Eine Stunde der Welt entrückt: Der Pianist Kai Schumacher

Minimal music als Hypnoseakt: Pianist Kai Schumacher in der Fruchthalle Kaiserslautern.
Minimal music als Hypnoseakt: Pianist Kai Schumacher in der Fruchthalle Kaiserslautern.

Hypnotische Kräfte kann die sogenannte Minimal music entfalten. Musik, die aus kleinsten motivischen Einheiten besteht, die unablässig wiederholt werden und den Hörer in einen tranceartigen Zustand abtauchen lassen können. Auch Pianist Kai Schumacher ist ihr offensichtlich verfallen.

Seit den 1960er Jahren gibt es diese vom Notenmaterial her reduzierte, aber um so wirkungsvollere Musik, erfunden von Komponisten wie Philip Glass oder Steve Reich, um nur mal die bekanntesten zu nennen. Eine zweite Tonsetzergeneration führte das Konzept in den 80ern und 90ern weiter; grundlegende Prinzipien wie die ständige Wiederholung kleinster Motivzellen und deren kaum merkliche Veränderungen fanden sich bald auch in der Popmusik wieder, etwa in Techno, Ambient und Electronic.

„Psychoakustische Phänomene“ haben Wissenschaftler den Sog genannt, in den diese Musik ihre Hörer ziehen kann. Wohlgemerkt kann − nicht jeden erfasst die Klangwelle gleichermaßen. Einlassung ist schon vorausgesetzt, andernfalls werden Minimal music und ihre Artverwandten einfach nur als langweilig und nervig erlebt.

Versunken am Piano

Einer, der schon seit über zehn Jahren der Minimal music verfallen ist, ist Kai Schumacher. In Kaiserslautern ist er kein Unbekannter, hat er doch etliche Konzerte in der Fruchthalle absolviert und daneben familiäre Wurzeln in der Barbarossastadt. So sind seine Eltern gebürtige Kaiserslauterer, sein Vater Walter Schumacher war lange Jahre Radiomann beim damaligen Südwestfunk, dann Regierungssprecher von Ministerpräsident Kurt Beck und zuletzt Kulturstaatssekretär.

Und auch in diesen Tagen besuchte Kai Schumacher Kaiserslautern − sein erster „Ausbruch“ aus der Wahlheimat Duisburg seit dem Corona-Lockdown, wie der sympathische Pianist bekannte. Am Dienstag trat er beim Talk unter Freunden an, der per Live-Stream aus der Fruchthalle übertragen wurde (die RHEINPFALZ berichtete gestern). Tags darauf bot er auf eben jenem Podium eine Stunde Minimal music mit Tom Johnsons „An Hour of Piano“. Mit den ersten Tönen wurde deutlich, dass Schumacher die Musik nicht abspult, sondern (er-) lebt.

Den Puls gefühlt

Konzentrierte Versunkenheit im Blick, folgte er hingebungsvoll dem steten Puls der Musik und spielte zartfühlend manche verträumt anmutende Linie dazu ein. Denn der US-Komponist (1939 in Colorado geboren), der seit 1983 in Paris lebt, hat eine ganz eigene Ausprägung der an sich eher strengen Minimal music entwickelt. Dass sie auf mathematischen Formeln und Zahlenspielen beruht, mag man beim Hören gar nicht glauben. Denn eher weltentrückt und impressionistisch getönt ist der Klang auch seiner „Hour of Piano“, die genau eine Stunde lang dauert. Vorausgesetzt, der ausführende Pianist hat das richtige Zeitgefühl.

Und obwohl sich Schumacher nach eigenen Angaben „permanent in dieser Musik verliert“ und sogar dem Sekundenschlaf ähnliche Phasen der Versenkung erlebt, gelang auch diesmal beinahe eine Punktlandung. Wenige Sekunden zu früh endete seine Ausführung, was ihm danach aber „Zeit zum Auftauchen“ aus dem minimalistischen Soundkosmos gegeben habe. Dieses Wegdriften in der Musik, das Erlebnis des Dahinfließens habe ihn auch vergessen lassen, dass er diesmal vor leeren Rängen spielte.

Wer nun neugierig auf dieses spezielle Klangerlebnis geworden ist, kann es über Youtube und Facebook nachhören. Zur weiteren Vertiefung sei dann noch auf Schumachers neueste CD von 2019 hingewiesen, die den vielsagenden Titel „Rausch“ trägt und seine eigenen, nicht minder hypnotischen Stücke enthält. Und was könnte einen schließlich besser aus Corona-geprägten Zeiten herausreißen − und sei es auch nur für eine Stunde?

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