Kaiserslautern Eine Überdosis Leben

Ihr Hit „Tage wie diese“ hat sie dorthin gespült, wo sie nie sein wollten: in die Mitte der Gesellschaft. Als die Toten Hosen vor 30 Jahren ihre Band gründeten, gehörten Polizeieinsätze bei ihren Konzerten und Negativschlagzeilen zum guten Ton. Heute sind sie die erfolgreichste deutsche Rockband, und die CDU feierte 2013 mit „Tage wie diese“ ihren Wahlsieg. Bleibt die Frage: Wer hat hier wen eingeholt? Der Journalist Philipp Oehmke hat eine Biographie der Band geschrieben – und nebenbei eine der Bundesrepublik.

Als sich die Toten Hosen 1982 gründeten, war Punk eigentlich schon vorbei. Die „Wir-haben-keine-Zukunft-und-keinen-Bock-auf-gar-nix-Bewegung“ aus Großbritannien löste sich zunehmend auf. Die Toten Hosen störte das nicht. Auch nicht, dass sie beim ersten Konzert als die „Toten Hasen“ angekündigt wurden. Andreas Frege (Campino), Andreas Meurer (Andi), Andreas von Holst (Kuddel) und Michael Breitkopf (Breiti) waren Anfang 20 und voller Energie. Sie wollten sich von der Gesellschaft, in der sie aufgewachsen waren, abgrenzen – bunte Haare, hässliche Klamotten, ein seltsamer Name und Unmengen von Alkohol und Drogen sollten dabei helfen. Mit der Welt ihrer Eltern, die diese nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut hatten, konnten sie nichts anfangen. Sie fanden sie langweilig und spießig. Also rannten, schrien und wüteten sie dagegen an, mit allem, was sie hatten. Das war vor allem Leidenschaft. Der einzige, der musikalisches Talent besaß, war Kuddel. Bei Plattenaufnahmen war er es, der alle Instrumente einspielte. Andi und Breiti schnappten sich Bass und Gitarre und schrammelten planlos, aber fröhlich drauflos. Campino, der eigentlich Schlagzeug spielen wollte, landete am Mikrofon. Singen konnte er zwar nicht, dafür aber ziemlich laut schreien. Für den Anfang reichte das vollkommen. Bis der richtige Schlagzeuger gefunden war, dauerte es allerdings ein bisschen. Nach Klaus-Peter Trimpop (Trini) und Jakob Keusen sorgte schließlich Wolfgang Rohde, genannt Wölli, bis Ende der Neunziger für Kontinuität hinter den Drums. „Am Anfang war der Lärm“ – der Titel der gerade erschienen Biographie der Toten Hosen kommt nicht von ungefähr. Auf knapp 400 Seiten schildert der Journalist Philipp Oehmke unterhaltsam und mit einem Augenzwinkern die Geschichte der Band, die nicht nur in Deutschland Punk-Geschichte geschrieben hat. Die Toten Hosen haben ihren Biographen, Kulturredakteur beim Spiegel und Fan der Band, nah an sich herangelassen. Sein erstes Interview mit der Gruppe führte er 1992 für die Schülerzeitung, seitdem ist er ihnen treugeblieben. Die Toten Hosen gewährten ihm nicht nur einen tiefen Einblick in über 30 Jahre Band-Alltag, sondern auch in ihr persönliches Leben – denn beides war für sie immer eins. Bis heute sind die Bandmitglieder enge Freunde. Nur einmal standen die fünf ernsthaft vor der Auflösung: 1997, bei ihrem 1000. Konzert kam ein junges Mädchen ums Leben. Der Schock darüber saß tief. In ihrer Biographie arbeiten sie diese Episode noch einmal auf. Gleiches gilt für ihre Wurzeln, aus denen sie nie einen Hehl gemacht haben. Genüsslich randalierten, soffen und prügelten sie sich in den Achtzigern und Neunzigern durchs Land, immer auf der Suche nach dem nächsten Skandal. „Komm’ mit uns, verschwende deine Zeit“, forderten sie ihr Publikum auf. Egal, wo die Band auftauchte, verbreitete sie Chaos. Campino beschrieb die Jahre einmal als eine „Überdosis Leben“. Die bundesdeutsche Gesellschaft war schockiert – und gleichzeitig fasziniert. Das Medienecho, das die Jungs aus Düsseldorf hervorriefen, wurde größer und größer, ihre Erfolge wurden es auch. Die Konzerte, bei denen sie sich bis zum Äußersten verausgabten, galten bald als legendär. Die „Bravo“ berichtete, das Fernsehen drehte Dokumentarfilme – die Toten Hosen wurden zum Stereotyp der „unangepassten Jugend“. Campino durfte in keiner Talkshow zum Thema fehlen. Irgendwann galt er nach Boris Becker als der bekannteste Deutsche. In ihren Liedern legten sich die Toten Hosen derweil munter weiter mit allen an, denen sie etwas zu sagen hatten, von Helmut Kohl bis Heino. Sie blockierten Castor-Transporte, spielten im Knast und in besetzten Häusern, gaben heimlich Konzerte in der DDR und den Ostblockstaaten. Sie sangen gegen Gewalt von Neonazis und engagierten sich für Flüchtlinge. Deswegen auf ihre Sauf- und Partylieder zu verzichten, stand nie zur Debatte. Die Toten Hosen waren immer beides – Partyband und sozial engagiert. Aktuell organisieren sie die deutsche Version des Band-Aid-Liedes „Do They Know It’s Christmas?“. Heute ist die Band – mittlerweile mit Schlagzeuger Stephen George Ritchie („Vom“) – so erfolgreich wie nie zuvor. „Tage wie diese“ hielt sich 2012 wochenlang auf Platz eins der Charts. Die Bandmitglieder, mittlerweile alle über 50, sind ruhiger geworden – die Gesellschaft, in der sie leben, ist offener. Nun sind es die Toten Hosen, die damit leben müssen, dass die CDU mit ihren Liedern Wahlsiege feiert – und Angela Merkel sich danach bei ihnen entschuldigt. Dennoch, die Toten Hosen wehren sich weiter gegen jede Art der Kategorisierung. So tanzten die frisch-gebackenen Fußball-Weltmeister im Sommer zwar zu „Tage wie diese“ durchs Maracanã-Stadion, bei der Siegesfeier vor dem Brandenburger Tor zu spielen, lehnten die Toten Hosen jedoch ab. Sie wollen das tun, wovon sie überzeugt sind. Das ist nicht immer das, was die Gesellschaft von ihnen erwartet. Bis heute.

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