Kaiserslautern Ein guter Mord, ein ächter Mord, ein schöner Mord

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In der Regie von Christoph Loy wird Alban Bergs „Wozzeck“ in Frankfurt zum Protokoll des fortschreitenden Wahnsinns. Kraftzentrum der Aufführung ist szenisch wie sängerisch Audun Iversen in der Titelpartie.

Kein Sozialkitsch, keine Wir-Arme-Leut-Thematik, keine Hier-Opfer-und-dort-Täter-Konstellation. Dafür klare Räume, analytische Blicke, scharfe Personenzeichnungen. An der Oper Frankfurt schaut der Regisseur Christof Loy sehr genau auf Alban Bergs „Wozzeck“, und zwar nicht nur auf den Titelhelden, sondern auch auf die übrigen Figuren, und gerade auf die leicht zu übersehenden. Sehr präsent sind der Narr und Wozzecks Kind, die Loy einander annähert. Während sich ersterer längst in eine eigene Welt geflüchtet hat, leidet der Knabe unter Angstzuständen, die bei seinem Vater wahnhaften Charakter angenommen haben. Alle drei befinden sich also auf unterschiedlichen Stufen seelischer Ausnahmezustände. Loys Inszenierung lässt den Zuschauer am Prozess des fortschreitenden Wahnzustandes der Wozzeck-Figur teilnehmen, sowohl an deren Selbstwahrnehmung wie deren Selbstzweifel. Und damit ist er nah an Bergs Vorlage, dem nur als Fragment überlieferten Drama „Woyzeck“. Der Darmstädter Georg Büchner schildert dort die Destruktion eines mittellosen Soldaten, der sich um der Existenzerhaltung willen unmenschlichen medizinischen Experimenten unterzieht, von den Vorgesetzten gedemütigt und von der Geliebten, die aber auch Opfer der Verhältnisse ist, betrogen wird. Der so physisch und psychisch von den typisierten Vertretern der staatlichen Institutionen zugrunde Gerichtete tötet schließlich die Geliebte und in der Oper auch sich selbst. Um dem Umfeld Wozzecks szenisch gerecht zu werden, hat sich der Regisseur von Herbert Murauer Räume bauen lassen, die den Blick auch auf Figuren freigeben, die nicht unmittelbar ins Geschehen eingebunden sind. Ein großer rechteckiger Kasten beherrscht die Bühne, der vor den beiden Seitenwänden zwei eingezogene verschiebbare Wände hat. Die Rückwand öffnet sich nur bei den Szenen, die im Freien spielen. Das eröffnet die Möglichkeit, die Umgebung so zu gestalten, wie sie von den Figuren subjektiv wahrgenommen wird. Damit kann ein enger Raum sowohl das Gefangensein einer Figur als auch deren Schutzbedürfnis verdeutlichen. Der weite Raum kann zur Bedrohung werden, weil Sicherheiten fehlen. Das Kraftzentrum der Inszenierung ist szenisch wie sängerisch der vierschrötige, bullige Wozzeck von Audun Iversen. Der Körper verrät, wie es um ihn steht: ständig in Bewegung, ständig auf Lauerstellung, immer ängstlich zwischen Angriff und Abwehr. Stimmlich hält er seinen großen Bariton meist zurück, scheinbar mühsam, mit viel Raum für Ausbrüche. Claudia Mahnke ist eine Marie, die zwischen schlechtem Gewissen und Grausamkeit schwankt, die ihre Sexualität ausleben will, frustriert ist, ihr Kind seelisch quält. Der eigentlich gemeinte Wozzeck ist ja meist nicht da. Mahnke spielt und singt das mit großer Intensität und hohem Einfühlungsvermögen. Und auch die übrigen Figuren qualifiziert Loy mit Ausnahme des zynischen Doktors, der den Menschen Wozzeck nur als Objekt wissenschaftlicher Erkenntnis betrachtet, nicht ab: Alfred Reiter singt ihn mit bösem Witz. Verletzungen weisen sonst alle Figuren auf, ausgelöst von Ängsten, Sehnsüchten, Demütigungen: der kauzige Hauptmann des Peter Bronder, der eitle Tambourmajor von Vincent Wolfsteiner und auch die Handwerksburschen, die Liebe suchen, aber über Sex nicht hinauskommen. Und zwischen allen bewegt sich herzergreifend hilflos und zerbrechlich, aber mitleidig der Narr von Martin Wölfel. Dirigent Sebastian Weigle rückt Alban Berg ganz in die Nähe Gustav Mahlers. Der ist gerade in den Tanz- und Liedszenen überaus präsent, vor allem in der Wirtshausszene, doch ist die Partitur eine Synthese der Erfahrungen, die der Komponist mit Mahler und Arnold Schönberg gemacht hat. Die Schärfe, die Boshaftigkeit, die gerade die parodistischen Passagen benötigen, kommen ein wenig zu kurz, aber das ist in Anbetracht der dynamischen Kraft und Klangfülle, mit der Weigle und das Orchester agieren, zu verschmerzen. Termine Vorstellungen am 30. Juni. 2., 6., 9., 13. und 16. Juli. (am 16. Juli überträgt 3sat die Aufführung); Kartentelefon: 069/21249494; www.oper-frankfurt.de

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