Kaiserslautern „Eher ein Kopf- als ein Bauchspieler“

Herrje, der Mann hat aber auch ein Pech. Schon in seiner ersten Produktion am Lauterer Pfalztheater – Brechts „Mutter Courage“ – brach er sich einen Finger und wenig später zudem eine Rippe. Es ging munter so weiter mit den Blessuren, bis er unmittelbar vor der Premiere von „Yellow Line“ vom Hund gebissen wurde. Fast scheint es, als könne der Schauspieler Dominique Bals zu jedem Bühnenstück eine persönliche Leidensgeschichte erzählen.

Ganz so arg ist es dann doch nicht, wiewohl er einiges zu erzählen hat. Im Gegensatz zu vielen anderen Jüngern der Thalia kann Dominique Bals wirklich ein Gespräch führen. Es geht nicht zwangsläufig um ihn allein, seine aktuelle Rolle, seine Rollenauffassung, sein Rollenrepertoire, seine Wunschrolle. Die von vielen Schauspielern kultivierte Egozentrik – um nicht zu sagen: Egomanie – ist ihm fremd. 2010 sah man ihn in Sylvia Richters denkwürdiger, weil schlichtweg großartiger Inszenierung des „Besuchs der alten Dame“ von Dürrenmatt. Er spielte mehrere kleine Rollen, aber der Zuschauer merkte sich seinen Namen trotz des herrlichen Spiels von Hannelore Bähr und Peter Nassauer, die in diesem Stück brillant waren. Bals war der königliche Anwalt im „Glöckner von Notre Dame“, der Fußballtrainer in „Der Betze brennt“, der bajuwarische Bräutigam Permaneder in den „Buddenbrooks“, der Doktor in „Andorra“, der verliebte Schreiber in „Black Rider“, schließlich der Inquisitor im „Leben des Galilei“. Randfiguren allesamt, denen Bals durch sein zurückgenommenes Spiel, das freilich stets komödiantische Grandezza aufblitzen lässt, Leben einhauchte. Er sagt, er sei „eher ein Kopf- als ein Bauchspieler“. So scheint er seinen Charakteren zu Persönlichkeit, zu einem Schicksal, einer Biografie zu verhelfen, selbst wenn die Textvorlage in dieser Hinsicht vage bleibt. Sein schauspielerischer Habitus endet nicht an der Rampe, sondern geht den Zuschauer direkt an: ins Herz, ins Hirn, jedenfalls ins Eingemachte. Wer ihn im vergangenen Jahr als Ägist in der „Orestie“ des Aischylos gesehen hat, musste erkennen, dass selbst einem grausamen Feigling so etwas wie Seelentiefe innewohnt. Da Bals sich nach eigener Aussage „in keine Schublade stecken lassen will“, kann er seinem Komödiantenaffen Zucker geben im tragischen wie im komischen Fach. Er singt und tanzt, bewegt sich auf dem Boulevard ebenso sicher und wirkungsvoll wie in Klassikern, ist in grimmigen Melodramen so glaubhaft wie in hemmungslosem Klamauk. Als er sich 2009 in Michael Lerchenbergs solider, aber wenig einprägsamer Inszenierung der „Mutter Courage“ dem Lauterer Publikum vorstellte, konnte er bereits auf einem reichen Erfahrungsschatz aufbauen. In Duisburg als Sohn eines Ingenieurs und einer Erzieherin geboren, absolvierte er eine Ausbildung in der Krankenpflege und studierte auf Lehramt. Dann jedoch forderte die Theaterleidenschaft ihr Recht. Er nahm Schauspiel- und Gesangsunterricht, ging nach Frankreich und debütierte 1995 in Montpellier in Shakespeares „Troilus und Cressida“. Es folgten Engagements in Heilbronn, Augsburg und Baden-Baden, außerdem Gastverträge unter anderem nach Krefeld, Leipzig, Wilhelmshaven, Paris und Avignon. Im Sommer 2009 war er bei den Burgfestspielen Mayen einer der unfreiwilligen Stripper in „Ladies′ Night“ – unter der Intendanz des Pfalztheater-Veteranen Peter Nüesch und der Regie von Urs Häberli. Der Wechsel nach Kaiserslautern hat Dominique Bals einige reizvolle Aufgaben eingetragen. Ein großer Erfolg war der mehrfach prolongierte Spaß-Krimi „39 Stufen“, in dem die Geschichte des gleichnamigen Hitchcock-Films von nur vier Schauspielern nachgespielt wird. Nicht minder rasant war Gerd Lohmeyers Inszenierung der „Nervensäge“, in der Bals versehentlich anstelle einer Zuckerglaslampe einen echten Holzleuchter an den Kopf bekam. Und dann war da natürlich noch 2014 der üble Sturz ausgerechnet in der Premiere der „West Side Story“. Da spielte Bals den Anführer der amerikanischen Straßenbande, die in Fehde liegt mit den puertoricanischen Einwanderern: viril und großspurig und doch verletzlich, ein Halbstarker zwischen Härte und Ratlosigkeit, ein Maulheld mit zarter Seele. Dominique Bals, der hier auch sängerisch und tänzerisch beeindruckte, war trotz Astrid Vosberg und Randy Diamond der heimliche Star in Cusch Jungs frenetisch beklatschter Inszenierung des Bernstein-Musicals – auch wenn er nach der Premiere wegen eines Gipsverbands zeitweilig pausieren musste. Danach sah man ihn als „Zigeunerboxer“, als Sterbenden in „Der gute Tod“, schließlich in Dominik van Guntens gleißnerischer Bearbeitung der „Letzten Tage der Menschheit“. In „Yellow Line“ reiht er sich derzeit in ein redlich bemühtes, bisweilen sogar ansprechendes Ensemble, während die Inszenierung des (ohnehin kruden) Juli-Zeh-Stücks durch Jan Steinbach im gnädigsten Fall für Achselzucken sorgt. Es ist Dominique Bals sehr zu wünschen, dass man nicht ausgerechnet dieses Stück in Erinnerung behält, wenn es um seine sechs Jahre in Kaiserslautern geht. Denn er hat am Pfalztheater gekündigt, spielt ab der kommenden Saison in Hof und hofft, dort endlich auch seinen Regieambitionen nachkommen zu können. Viel Glück und viel Freude, lieber Dominique Bals – und auf ein baldiges Wiedersehen!

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