Kaiserslautern Der singende Komiker aus Kalau

Die große Zeit der Operette sei vorüber, heißt es. Doch die unverminderte Zugkraft von Walzerseligkeit und Flitter, von Chichi und Olala, perlendem Sekt und moussierender Leichtigkeit, die nur abgehobene Schnösel als „Eskapismus“ tadeln, straft diese Behauptung Lügen. Ein Indiz für unser aller Bedarf an heiterer Zerstreuung sind die Besucherzahlen des Pfalztheaters – und die Erinnerung an hiesige Operettenstars wie Sigi Kurzweil, der am 3. Februar vor 25 Jahren gestorben ist.

Er war ein formidabler Siegelbewahrer jener angeblich leichten Muse, die dem Zuschauer ins Herz, ins Auge und ins Ohr geht. Keiner trug Frack und Uniform mit mehr Grandezza. Niemand war wie er, wenn er zwischen Puszta und Seine, Wolfgangsee und Land des Lächelns die Champagnerkorken knallen ließ und seinen Bühnenpartnerinnen im Boudoir oder auf der Redoute frivole Anzüglichkeiten ebenso charmant kredenzte wie süßen Wein und perlenden Champagner, derweil sie genießerisch lächelnd die Augen niederschlugen. Dazu ließ er einen schmeichelnden Tenorbariton ertönen, in dem sich ungehemmte Lebenslust mit jenem Quäntchen Melancholie verband, das aller Operettenseligkeit innewohnt. Als Operettenbuffo gehörte Sigi Kurzweil über Jahrzehnte zu den unangefochtenen Publikumslieblingen des Pfalztheaters. Seine Wiege jedoch stand zwischen Spreewald und Lausitz, genauer gesagt in der Kleinstadt Calau, deren Name damals noch mit K geschrieben wurde, so dass er sich mit Fug und Recht als „echten Kalauer“ bezeichnete. Das künstlerische Rüstzeug holte er sich an den Städtischen Bühnen Breslau, wo er 1940 als 19-Jähriger am Operettenhaus debütierte. Nach dem Krieg übernahm er diverse Engagements in der „Ostzone“ und agierte im Westen in Filmen mit Caterina Valente und Rudolf Prack („Du bist wunderbar“, 1959), Bibi Johns und Karlheinz Böhm („La Paloma“, 1959) sowie Elke Sommer und Mario Adorf („Am Tag, als der Regen kam“, 1960). Eine ungewöhnlich ernste Rolle hatte er als SS-Offizier in „Lebensborn“ (1961) mit Joachim Hansen und Marisa Mell. Ende der 1950er Jahre band sich Sigi Kurzweil an den Berliner Titania-Palast, wo er endgültig sein angestammtes Fach als Buffo ausfüllen konnte. Er tanzte mit Ethel Reschke und sang mit Brigitte Mira, empfahl sich als tanzender Sänger, singender Komiker und komischer Lebemann – ein wirbelnder Tausendsassa des heiteren Fachs, dabei aber von bestechender künstlerischer Akkuratesse. Mit derlei Lorbeeren versehen, kam er 1961 nach Kaiserslautern. Er wollte nur zwei Jahre am Pfalztheater bleiben, aber „aus einer kurz gewollten ,Vernunftverbindung’ wurde eine ,Liebesheirat mit der Pfalz’“, wie die RHEINPFALZ einmal schrieb. Aus vollem Herzen schenkte er dem Publikum seine Pointen und Ohrwürmer – und aus ebenso vollem Herzen dankte es ihm mit ehrlicher, tiefer und beständiger Sympathie. Bis heute lebt bei Lauterer Theaterfreunden die Erinnerung fort an glanzvolle Premieren, bei denen neben seinem Namen auch Publikumslieblinge wie Annelies Mücke, Werner Nesseler, Fred Milan und die von der Tochter Astrid kongenial beerbte Wally Vosberg aufleuchteten. Alles, was die Herren Lehár, Kálmán und Abraham, Millöcker, Zeller und Strauß, Lincke, Künneke und Dostal, Porter, Offenbach und Rodgers an effektvoll-eingängigen Melodien im Dreivierteltakt zu Papier gebracht haben, erfüllten Kurzweil und seine Mitspieler mit schmissigem Leben. In „Hello Dolly“ war die nachmalige „Raumschiff-Orion“-Heroine Eva Pflug seine Partnerin, beim Musical „Seidenstrümpfe“ führte Irene Mann Regie. Auch Sigi Kurzweil setzte diverse Erfolgsstücke in Szene, etwa „Der Graf von Luxemburg“, „Gräfin Mariza“, „Die keusche Susanne“, „Maske in Blau“, „Die Dubarry“, „Hochzeitsnacht im Paradies“, „Victoria und ihr Husar“ sowie „Im Weißen Röss’l“. Selbst wenn er nicht sang, blieb er dem heiter-nachdenklichen Fach treu, im „Raub der Sabinerinnen“ und „Der Florentiner Hut“ sowie einem viel beachteten Tucholsky-Abend. Als ich Mitte der 1980er Jahre anfing, ins Theater zu gehen, war der einstige Buffo längst ein „Père noble“ mit weißem Haar geworden. Aber das Blitzen seiner Augen, dessen Strahlkraft mir sanft die Tür zum glitzernden Wunderland der Operette aufstieß, hatte nichts von seinem alterslosen Zauber eingebüßt. In „Wiener Blut“ und dem Musical „Fantasticks“ habe ich ihn noch gesehen, erlebte ihn als Oberst Pickering in „My Fair Lady“ und als Genießer Kuhbrot im „Vetter aus Dingsda“. Das war 1989, im Wiedervereinigungs-Herbst – und Sigi Kurzweil mag nach 28 Jahren an der Lauter seiner Anfänge im geteilten Deutschland gedacht haben. Offiziell hatte er bereits seinen Abschied vom Pfalztheater genommen. Aber es war davon die Rede, dass er in der Silvesterpremiere der „Gräfin Mariza“ dabeisein würde. Es kam nicht mehr dazu, er war bereits zu krank. Am 3. Februar 1990 starb er mit nur 68 Jahren. Gert Friderich, sein Bewunderer und mein Kollege, inzwischen gleichfalls nicht mehr da, rief ihm in der RHEINPFALZ nach: „Für das Publikum wird sich ein Stück bühnenhafter Heiterkeit verdunkeln. Unfassbar ist der Verlust.“

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