Kaiserslautern Der Mann des ganz normalen Wahnsinns

„Wenn es Ihnen recht ist, gehe ich jetzt“, sagte Helmut Dietl ruhig und doch bewegt am 9. Mai vergangenen Jahres. Schon damals, als er, den Tränen nahe, den Ehrenpreis des Deutschen Filmpreises in Händen hielt, spürte man, dass er wohl nicht mehr drehen wird und sich bemühte – wie die Helden seiner Filme – , mit Worten zu überspielen, wie sehr Gefühle das Leben bestimmen. Gestern ist Helmut Dietl, der große deutsche Film- und Fernsehregisseur, im Alter von 70 Jahren seinem Krebsleiden erlegen.

Im Rückblick bleiben nie ganze Filme im Gedächtnis, sondern immer nur einzelne Bilder und Dialoge. „Solange wir hier sitzen, schmieren wir uns kein Hakenkreuz aufs Titelblatt und kein Göringschiff und keine verschwitzten Bademäntel und keine Kaffeelöffel mit Hakenkreuz und Silberpunze!“, sagt der Chefredakteur in dem Kinofilm „Schtonk!“ (1983), als man ihm die Hitler-Tagebücher in Aussicht stellt. – „Ich scheiß’ dich zu mit meinem Geld!“, sagt der Fabrikant in der Fernsehserie „Kir Royal“ (1986), als er von dem Klatschreporter Baby Schimmerlos keinen Platz in seiner Kolumne bekommt. – „A bisserl was geht immer“, aus der Fernsehserie Monaco Franze (1983 mit Helmut Fischer), hat es am weitesten gebracht: zum geflügelten Wort, das jeder kennt. In den 1980ern war Dietl unschlagbar, mit Szenen und Dialoge wie bei Billy Wilder, mit dem er befreundet war. Das gab es seitdem in Deutschland nicht mehr: so herrliche Filme überdrehte Gesellschaftssatiren, voll aus dem Leben gegriffen, in denen sich die Münchner Schickeria selbst parodiert, ohne es zu merken, und Liebe, Sex, Geld und Politik nach dem „A bisserl was geht immer“-Prinzip funktionieren. Dietl war ein Detailfanatiker. Das galt für Worte, Bilder, Gesten, Musik, Milieu. In seinem Meisterwerk „Schtonk“ (einer Farce über die gefälschten Hitler-Tagebücher) kommt alles zusammen. Das Fantasiewort, das einst Charlie Chaplin im „Großen Diktator“ Hitler in den Mund legte, entwickelte Dietl weiter: „Kotzschtonk“ entziffert der Verleger, dem man die Tagebücher anbietet, obwohl das, was er sieht, eigentlich recht harmlos „Gott sei Dank“ heißt. Doch bevor man den subtilen Witz begriffen hat, ist Dietl schon weiter, beim nächsten optischen Gag, der politischen Satire, bei der nächsten Attacke auf die Medienmacher, die Möchtegern-Berühmtheiten, die Wirtschaftsbosse, die doch so schlau sein wollen und im Kleinen versagen. Mit „Schtonk“ drehte Dietl die beste deutsche Nachkriegskomödie überhaupt (nominiert für den Auslands-Oscar als erste und einzige deutsche Komödie bis heute), mit „Kir Royal“ die wichtigste deutsche Fernsehserie. Sie riss Deutschland aus der Betulichkeit und revolutionierte mit Witz und Satire ein totgeglaubtes Genre. Das funktionierte, weil Dietl alle seine Filme in München ansiedelte, wo er sich auskannte, in Bayern, wo ohnehin alles ein bisschen verrückt ist. Nicht umsonst hieß Dietls zweite Fernsehserie „Der ganz normale Wahnsinn“ (1978/79) – nach den Münchner Geschichten (1974) und dem abgebrochenen Studium der Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte. Mit jeder Serie wurde er besser, bei „Kir Royal“ war dann alles perfekt: die pointengenaue Regie, die einen zum Lachen bringt, die Abbilder der sensationshungrigen Journalisten, die pressegeile Münchner Schickeria und die (Wieder)-Geburt von Franz Xaver Kroetz als Schauspieler, dann Mario Adorf, Senta Berger , Udo Kier, Konstantin Wecker und Curt Bois, um nur einige Stars zu nennen, die Dietl sich holte. Immer wieder ging es um Gaunereien aller Art, um die NS-Vergangenheit, um das Integer-sein-wollen. Vetternwirtschaft, Untreue und brisante Enthüllungen werden aneinandergereiht. Meistens auf Bayerisch. Im Laufe der Zeit haben sich die Themen variierend wiederholt. Manchmal hat sich Dietl auch verhoben, wie in dem Kinofilm „Vom Suchen und Finden der Liebe“ (2005), einer Orpheus-und-Eurydike-Variante, die auch seine langjährige Beziehung mit der Schauspielerin Veronica Ferres als Wunschtraum thematisiert, aber selbst da gibt es – wie in allen Dietl-Filmen – wenigstens eine grandiose Szene: Wenn Anwältin Anke Engelke und Therapeut Harald Schmidt sich nach einem Seitensprung die Visitenkarten in die Hand drücken. „Zettl“ (2012) über einen bayerischen Chauffeur, der in Berlin Karriere machen will ist sein letzter, trauriger Film, weil die Gags aus München sich nicht verpflanzen lassen. 2013 machte er öffentlich, dass er Lungenkrebs hat, und dass man nicht mehr operieren kann. Doch er sprach nicht als Leidender darüber, sondern eher wie Monaco Franze, mit Humor, Zuversicht und mit wahrer Größe, so wie bei seinem heimlichen Abschied beim Filmpreis, als ihm alle stehend zujubelten: „Danke, danke, danke! Bitte setzen Sie sich hin, sonst muss ich weinen. Und das will ich jetzt nicht tun, das mache ich morgen.“

x