Kaiserslautern Der Löwe von Venedig wartet in London

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In Bayreuth reüssiert gerade Klaus Florian Vogt, sein innerdeutscher Mitbewerber um die Krone im Tenorfach, als Parsifal. Doch auch Jonas Kaufmann ist derzeit als Wagner-Sänger nicht untätig und gibt heute und am Sonntag wieder den Stolzing in den „Meistersingern“ bei den Münchner Opernfestspielen. Dass er ebenso in italienischen Opern zu glänzen weiß, belegen neue Aufnahmen mit ihm. Auch sein Auftritt bei der Baden-Baden-Gala bestätigt das.

Das Publikum schätzt ihn ganz offensichtlich für beides. Nicht zufällig bekommt Kaufmann für sein Puccini-Album „Nessun dorma“ in Kürze den Echo Klassik als Bestseller im Klassikbereich. Und das Festspielhaus Baden-Baden war gewiss seinetwegen bei den beiden Abenden ausverkauft. Fast voll besetzt waren dort Anfang des Monats auch die beiden konzertanten Aufführungen von Wagners „Walküre“ mit dem Mariinksy-Theater unter Valery Gergiev, bei denen das Deutschland-Debüt von Kaufmann in der Partie des Siegmund angekündigt war. Doch einer Erkältung wegen musste der Sänger zum Leidwesen seiner Fans beide Auftritte absagen. Umso größer die Freunde bei Verehrern seiner Kunst, dass er rund zwei Wochen später bei der Gala im Kreis prominenter Kollegen wieder dabei und im Vollbesitz seiner Mittel war. Wagner war für ihn diesmal kein Thema, dafür bei seinem ersten Auftritt passend zum Erfolgs-Album Puccini mit „E lucevan le stelle“ aus „Tosca“. Da war sogleich die immense Gestaltungskunst des Tenors zu erleben, der seine farbenreiche, zu vielen dynamischen Schattierungen fähige und bekanntermaßen volltönende Stimme in den Dienst eines ebenso kunstvoll erlesenen wie im Ausdruck hoch intensiven Vortrags stellte. In ihm bereits bekannten Rollen wie dem Turridu in Mascagnis „Cavalleria rusticana“ und dem Maurizio in Cileas „Adriana Lecouvreur“ trat Jonas Kaufmann in der Folge an der Seite der vorzüglichen Mezzosopranistin Ekaterina Gubanova als Santuzza und Fürstin auf, die für Elina Garanca kurzfristig eingesprungen war. Da war Kaufmann ganz der auf Leidenschaft und kraftvolle Stimmentfaltung ausgerichtete Sänger. Doch dann folgte der schönste Moment eines überhaupt sehr glanzvollen Gala-Abends. Und der war eine Premiere: zum ersten Mal sangen Jonas Kaufmann und Anja Harteros zusammen das Liebesduett vom Ende des ersten Aktes von Verdis „Otello“. Anja Harteros, eine heute kaum zu überbietende Verdi-Sopranistin, hat die Desdemona im Repertoire. Jonas Kaufmann wird mit der ganzen Rolle erst in knapp einem Jahr an Covent Garden in London debütieren. Der Otello ist anerkanntermaßen eine der größten Herausforderungen für Tenöre: physisch und darstellerisch. Wer hier mehr als eine Materialschlacht abliefern will, wie Mario del Monaco in seiner vermeintlichen Glanzpartie, muss in die Extreme stimmlichen Ausdrucks gehen und seinem „Instrument“ das Äußerste abverlangen. Im Liebesduett mit einer Anja Harteros von zartester Empfindung und subtilsten Tönen zeigte Jonas Kaufmann, dass er für diese Rolle über die nötige sängerische Statur verfügt. Auch im feinsten Piano ist sein Tenor warm im Ton und tragfähig, wenn nötig, verströmt er auch umwerfende Energie. Kaufmann weiß kleinste Phrasen wie emphatische Melodien erscheinen zu lassen. Er vermittelt Wohlgesang mit einer prägnanten Textdeklamation und trifft den Spätstil Verdis optimal. Kaufmanns Glanzleistung in diesem Duett erinnerte an den Otello von Jon Vickers, der zu den größten Sängern überhaupt dieser Partie gehörte. Beim „Otello“ in London steht der dortige Musikchef Antonio Pappano am Pult, der Kaufmann auch bei dem eingangs erwähnten Puccini-Album begleitet. Pappano ist auch der mitreißende und überlegen agierende Dirigent eines für unsere Tage ungewöhnlichen CD-Projekts, nämlich einer Studio-Produktion von Verdis „Aida“, die bei Warner Classics erschienen ist. Diese kostenintensive Art der Einspielung gibt es bei großen Opern des 19. Jahrhunderts und mit prominenter Besetzung kaum noch. Zumeist erscheinen von Verdi, Wagner, Puccini und Richard Strauss nur noch Mitschnitte mit ausgebesserten Stellen. In der römischen „Aida“ mit Chor und Orchester der Accademia Nazionale di Sancta Cecilia ist übrigens in der Titelrolle wieder Anja Harteros die Partnerin von Jonas Kaufmann, der als Radames mit einer hoch differenzierten Gestaltung glänzt. Allein sein wie im Nichts verklingendes hohes B am Ende von „Celeste Aida“ ist sagenhaft. Der Aufwand hat sich gelohnt. Diese eigens für Tonträger gemachte „Aida“ gibt Verdis Partitur bei Mitschnitten kaum erreichbare Dimensionen und erlaubt es auch einem Sänger wie Jonas Kaufmann, seine Kunst idealtypisch zu dokumentieren. Den Amonasro singt hier übrigens Ludovic Tézier, der 2007 bei der „Mutter“ der Baden-Baden-Galas die Position des Baritons übernommen hatte (diesmal war der Waliser Bryn Terfel mit sagenhaften Präsenz der Vertreter der tiefen Männerstimme). Ramphis ist Erwin Schrott, im Festspielhaus zuletzt als Mephisto bei Gounod und Boito zweimal der Geist, der stets verneint.

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