Kaiserslautern „Das Land ist kulturell unglaublich vielfältig“

Am Wochenende präsentiert der Heidelberger Stückemarkt das Gastland Mexiko. Die Kuratorin ist Ilona Goyeneche, am Goethe Institut von Mexiko City für Theater und Tanz zuständig. Sie hat drei neue Theaterstücke nominiert, die in szenischer Lesung vorgestellt werden und die sich für den mit 5000 Euro dotierten Internationalen Autorenpreis bewerben. Dazu kommen drei Inszenierungen, die das Theaterland Mexiko exemplarisch abbilden. Mit Goyeneche hat sich Jürgen Berger unterhalten.

Man hat den Eindruck, Mexiko habe eine über das gesamte Land verteilte, sehr lebendige Theaterszene. Können Sie das bestätigen?

Es ist eine sehr breitgefächerte Szene in einem Land, das nicht wirklich überschaubar ist. Man kann die Szene im Norden hin zur Grenze Nordamerikas nicht mit der in Mexiko Stadt oder im Süden hin zu Guatemala vergleichen. Nach Mexiko Stadt wollen natürlich alle, weil dort das Geld ist, während die Theaterszene in den anderen Landesteilen auf sehr prekärem Grund spielt. Andererseits suchen junge Theatermacher dort sehr interessante eigene Wege. Das Land ist kulturell unglaublich vielfältig. Der Mexikaner im Norden ist ganz anders als der im Süden. Warum ist der Norden so anders als der Süden? Im Norden setzt man sich sehr stark mit dem Thema „Grenze“ auseinander. Die USA sind so nah, und man darf ja nicht vergessen: Die Grenze zu den USA ist auch die Grenze Lateinamerikas. Das ist eine stark belastete Zone, in der Drogen, kriminellen Kartelle und unvorstellbare Gewaltexzesse dominant sind. Die Menschen dort sind knallhart, damit hat man sogar in Mexiko Stadt Probleme. Im Süden dagegen ist die Auseinandersetzung mit der Tradition, mit Familie und Religion prägend. Ist die massenhafte Migration in Richtung USA vor allem ein Thema des Nordens? Das kann man schon sagen. Dort kommen die Migranten an und müssen die Grenze überschreiten – oder sie schaffen es nicht und bleiben im Norden. Der Güterzug mit den Migranten, die zum größten Teil aus Zentralamerika kommen, durchquert aber auch Mexiko, und so ist das Thema im ganzen Land präsent. Sie meinten, im Süden spiele die Tradition eine große Rolle. Hat das auch traditionellere Theaterstile zur Folge? Ich würde es anders ausdrücken. Stilprägend für den Süden ist das sogenannte Teatro Communitario, ein Laientheater im kommunalen Raum. Es wird viel in Richtung lokaler Traditionen recherchiert und das baut man dann in neue Theaterstücke ein. Viele Theatertexte der Autorin Conchi León zum Beispiel, deren „Santificarás las Fiestas“ ich für Heidelberg ausgesucht habe, setzen sich mit der Kultur der Maya und damit auseinander, was es heute heißt, in Mexiko Maya zu sein. Das Teatro Communitario wird, weil es häufig keine Theatersäle gibt, an ganz unterschiedlichen Orten gespielt. Es ist ein direktes Theater, das häufig das Publikum mit einbezieht. Was kennzeichnet das Theater in Mexiko Stadt? Viele Theatermacher im Norden und Süden ziehen irgendwann nach Mexiko Stadt, weil sie sich da etwas erhoffen. Es gibt hier sehr viele feste Theaterhäuser, anders als in Deutschland aber nur zwei feste Ensembles: Das an der Universität Veracruzana und in Mexiko Stadt die Compañía Nacional de Teatro. Ansonsten sind die Theater in Mexiko Stadt Bespielhäuser. Es gibt sehr viele private Bühnen, aber auch Häuser, die vom Staat zur Verfügung gestellt werden. Theaterproduktionen finden oft zuerst in der Off-Szene ihren Weg, und wenn sie sich dort bewährt haben, suchen sie sich in diesen festen Theaterhäusern zu etablieren. Welche Themen dominieren in Mexiko Stadt? Man setzt sich vor allem mit dem Leben in der Metropole auseinander. Es geht um die Leere des Lebens, fehlende soziale Bindungen, Beziehungsprobleme. Wie finanzieren sich die Theatermacher? Viele setzen ihre Projekte dank eines staatlichen Stipendiensystems um, das sie ein bis drei Jahre nutzen können. Ansonsten halten sie sich über Wasser, indem sie unterrichten und als Schauspieler in Fernsehproduktionen oder Filmen spielen. Im Netz www.theaterheidelberg.de/festival/heidelberger-stueckemarkt/

x