Kaiserslautern Bohrende Fragen nach Gerechtigkeit

Der 1. Mai ist nicht nur Familien- und Ausflugstag, traditionell ist er als Tag der Arbeit auch Kampftag der Arbeiterbewegung. In jedem Fall bringt er Kundgebungen, Demonstrationen und zumindest Reflexionen mit sich. Die Untiere wählten den kabarettistischen Weg, um im Lauterer Wirtshaus im Bahnheim wirtschafts- und sozialgeschichtliche Entwicklungen Revue passieren zu lassen, um messerscharf zu analysieren und zu hinterfragen.

Im erneut ausverkauften Saal kreiste alles um das Grundthema „Arbeit“: Ist sie gerecht verteilt, gerecht bezahlt? Gibt es Chancengleichheit und soziale Sicherung? Es war der Abend der Un-Wörter: Unrecht, Unterdrückung, Ungerechtigkeit und schließlich Untier. Wollen wir Zukunft aktiv mitgestalten, oder sind wir nur stoische Mitläufer, wollte Wolfgang Marschall in diesem Zusammenhang wissen. Und in der Stärke des politischen Liedes wurde die Forderung laut, dass Eigentum verpflichtet, Egoismus passé ist. Allerdings kam diese Botschaft erst durch die Umkehrung und Zuspitzung des Liedtextes zum Ausdruck. Mit der Blockflöte brachte Marina Tamassy neue Klangreize, und in gewohnter stimmlicher Qualität stellte sie die Dialektik des Marktes in Frage. Vordergründig warb sie zunächst allerdings um Vertrauen ins System. Trotz Armut, Arbeitslosigkeit und Angstzuständen werde das Wirtschaftssystem alles richten, so das ironische Statement. Apropos Angst: Marschall sieht die Region durch die Nähe zum NATO-Stützpunkt Ramstein auf einem militärischen Pulverfass. Und doch laute die allgemein bewegende und existenzielle Frage: Schafft der FCK den Aufstieg? Marschall erntete Beifallsstürme, als er solche Widersprüche aufdeckte und zwischen „Freund und Feind“ klischeehafte Sichtgewohnheiten hinterfragte. Nicht nur eine auf Konsum und Unterhaltung ausgerichtete Gesellschaft bekam ihr satirisches Fett ab, auch die Parteien wurden auf konformes Verhalten abgeklopft. Eine Anpassung an politische Realitäten sah Marschall bei den Grünen in der Veränderung von signalgrün auf olivgrün. Und bei der SPD konstatierte Marschall gar einen „erbärmlichen Zustand“. Dabei zeichnete er das düstere Bild einer profillosen Partei, weit entfernt von ursprünglichen Idealen. Die Krise des Kapitalismus’ fände ohne die SPD statt. Das „House Of The Rising Sun“ mutet als melodische Vorlage für Tamassy im ersten Moment grotesk an. Letztlich ergab die Umtextierung zusammen mit allen Untieren als Hausband die bange Frage, ob das Godesberger Programm hier noch das Evangelium ist: „Einst waren wir die Linken, heut sind wir bürgerlich.“ In diese Kerbe schlug auch Eva Schön als Gast, die mit ihren politischen Liedern zur Geschichte der Arbeiterbewegung sogar spontane und massiv ablehnende Reaktionen aus dem Publikum erzielte. Gelassen konterte sie: „Wer was zu sagen hat, ab auf die Bühne.“ Keiner traute sich allerdings. Womit sich unbeabsichtigt die ohnehin latent mitschwingende gesellschaftliche Problematik von „Mitläufern“ (oder Heckenschützen) zu bestätigen schien. Allerdings schwächten bei den sonst rhetorisch und inhaltlich starken Auftritten die gelegentlichen Intonationsprobleme ihrer Stimme etwas die Wirkung. Allerdings konnte der Pianist und Keyboarder Edwin Schwehm-Herter dies souverän auffangen. Ansonsten hatte Eva Schön gründlich recherchiert, um die Historie unter dem Blickwinkel gesellschaftlicher Spannungen zwischen Proletariat, Prekariat und Bourgeoisie aufzuarbeiten. Auch der einheimische Kabarettist Gerd Kannegieser ahnte die Gunst der politischen Stunde, als er die Volksseele zum Thema weckte: Was immer man sich als Kabarettist und Entertainer an absurden Spekulationen ausdenke, man werde von der Realität überholt. Und: Politiker vedienten knapp unter Existenzmaximum. Kannegieser brachte nicht die Fakten der Untiere, sprach aber die Entfremdung an zwischen Gesellschaft und Politik. Ängsten gibt er eine laut polternde Stimme, macht sie erlebbar. Als weiterer Gast deklamierte Theresa Sophie Albert die Lyrik von Erich Kästner „Die Tretmühle“ eindrucksvoll. Ansonsten punktete sie vor allem durch ihre schauspielerischen Glanzleistungen und ihre Verwandlungskünste. Ein gelungener Abend mit jeder Menge Denkanstöße.

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