Kaiserslautern Bilder und Klänge fern des Alltags

Die mit dem Roboter tanzen: Tien Huy Tran (auch Choreographie) und Camilla Marcati mit den Uni-Robotern Robin (rechts) und SUGV.
Die mit dem Roboter tanzen: Tien Huy Tran (auch Choreographie) und Camilla Marcati mit den Uni-Robotern Robin (rechts) und SUGV.

ie Lange Nacht der Kultur ist eine voller Bilder. Bilder fern des Alltags, eigens ausgesucht und angeboten. Bilder, die den Besuchern sichtbar und hörbar begegnen, zeitliche und örtliche Momente spiegeln sowie mit stehenden, laufenden, bleibenden, flüchtigen und manchen Eigenarten mehr etwas zu sagen haben. Allein schon für die Bildenden und Darstellenden Künste reicht diese eine Nacht nicht aus. Uhrzeitliche Überschneidungen und örtliche Entfernungen tun das Ihrige dazu – und die Begegnungen und Gespräche unter Gleichgesinnten. Womöglich umgeben von den illuminierten Fassaden der drei Gebäude Rathaus, Pfalztheater und Fruchthalle. Denn Ingo Bracke und seine Lichtkunst ist nach einigen Jahren Abstinenz wieder da. Und zwar mit eigenhändig farbig bemalten Lichtschablonen, die besonders entlang der Fruchthallstraße zum Ausdruck kamen. Von dort war es nicht weit zur Vernissage am Martinsplatz 6. Dort zeigt Xaver Mayer satirische Grafik, Malerei und Zeichnung. Im Landauer Atelier entstehen weit mehr amüsante Geschichten als jene vom „Klääne Pälzer“. Und die wollen gelesen werden (bis Mitte Juli möglich). Eine Finissage dagegen initiierte Galeristin Sigrid Wack. Ein letztes Mal sich der außergewöhnlichen Linien-Ästhetik des verstorbenen Franzosen Luc Peire hingeben! Apropos Linien. Die Pfalzgalerie bekannte sich in ihren Beiträgen zu „Perspektivwechsel“ und „Leidenschaft Linie“. Sogar der Kinder wurde gedacht. Und dabei viel gelacht. Denn beim Zeichenworkshop saßen die Probanden im Kreis und führten mit der rechten Hand des Nachbars Linke, in der ein schwarzer Tuschestift Direktorin Britta Buhlmann auf Papier abzeichnete. Oder das Blindzeichnen des eigenen Spiegelbildes. Das geht gut und gern als analoges Selfie durch. Es herrschte eine Bombenstimmung unter dem Kultur-interessierten Nachwuchs. Daneben gab’s Zeichnungen von Hans Hofmann und Fotografien von Abbas Kiarostami, immer wieder Lesungen der Pfalzgaleristen sowie ein Konzert mit den Rosevalley Sisters. Alles übrigens wie bei Mayer rein analog. Thomas Brenner dagegen summierte in einem Fotoprojekt Vor- und Nachteile der digital-vernetzenden Industrierevolution 4.0. Es entstand ein Konglomerat an Informationen, die sich als „Weltsprache Algorithmus“ scheinbar transparent auf überdimensionalen Handy-Formaten summieren. Sie stehen unter dem nachdenklichen Titel „Die Angst vor dem vermeintlichen Glück“ im Rathaus Foyer (bis Juli). Bildende Kunst zeigten auch die Fotografen Johanna Leonhardt in ihrem Atelier sowie Jörg Heieck in der Fruchthalle. Er war ausgezogen um den Globus zu umrunden und mit „Blure“-Motiven (verwischt) zurückzukehren, von denen er nun erzählte. Laufende Bilder gab’s im Union-Theater (Kurzfilmnacht), und im Atelier Gouil und Bellenbaum hieß es „Clubbing as Performance Art“. „switch-mich“ sagt Joachim Scheer und startete damit einmal mehr den Versuch uneingeschränkt analogen Arbeitens. Über Monate studierte und zeichnete er das Pfaff-Bad naturgetreu nach (wir berichteten am 4. Juni): In der Fruchthalle inszenierte er die farbig beleuchteten Raumlinien auf schwarzem Grund als eine Art Begehung, die den Besucher kopfschüttelnd alleine ließ. Wie anders dagegen Modest Mussorgski im Jahr 1874. Er vertonte seine Eindrücke einer Ausstellung. Die bekannte Pianistin Sachiko Furuhata-Kersting interpretierte die Komposition ausgesprochen kraftvoll in der Fruchthalle, wozu Pfalzgaleristin Andrea Löschnig Kunstwerke aus dem Museum per Projektion beisteuerte. Übrigens zeichnen ja auch Tänze und Performances Bild nach: Zahlreiche Tanzgruppen und -schulen zeigten Formationen, wie sie besser nicht zu zeichnen wären. Ganz besonders erwähnenswert der Profi-Tanz. Er wird als Uraufführung in die Annalen des Pfalztheaters eingehen. Denn aus der Kooperation mit dem Lehrstuhl Robotersystem an der TU entstand „Welcome To The Machine“, eine Choreografie für zwei Tänzer (Huy Tran und Camilla Marcati) und zwei Robotern (programmiert und gesteuert von Zuhair Zafar und Atabak Nezhadfard). Eine emotional dichte Liebesgeschichte, in der letztlich der Mensch strahlt und lacht und liebt im Miteinander mit den Robotern. ock, Pop, Jazz – in früheren Jahren waren das Bereiche bei der Langen Nacht, die oft etwas unterrepräsentiert waren. Inzwischen sieht das anders aus – bis auf den „echten“, erdigen Rock, den man auch diesmal wieder kaum zu hören bekam. Geblieben ist dagegen das generelle Problem, gerade wegen der Fülle des Angebots nicht alles, was man möchte, auch „mitzubekommen“. Einzige Lösung, wie überall sonst auch: auswählen und streichen, mit Bauchgrimmen und einem blutenden Herzen. Erste Station des so abgesteckten Zugs um die kulturellen Häuser: das Lauter Atelier, wo das heimische Septett Ketti W. (ehemals Wittek) unter anderem Lieder von Gerhard Gundermann und anderen einst in der DDR aktiven Künstlern interpretiert – beeindruckend in Technik und Aussage. Dann mal kurz reingeguckt ins Foyer der Fruchthalle, wo fähige DJs wachsende Menschentrauben mit Techno, Hip Hop und satten Mixturen aus ungezählten Versatzstücken aus der Pop-Kultur anlocken. Ein anziehendes, wenn auch ziemlich lautes Entree für das, was einem weiter oben im Haus danach in all den Stunden erwartet. Nun gleich rüber zum Schillerplatz. Auf der Bühne dort gelingt es gerade dem Gustav-und-Gerlinde-Trio mit einfachen Mitteln – Sousaphon, Melodica und Schlagzeug – Welthits wie „Hey Jude“ und „Ring Of Fire“ so zu interpretieren, dass das große Publikum ganze Passagen spontan und begeistert mitsingt. Das schaffen manche Bands noch nicht mal mit großem Equipment. Kompliment. Im Juz in der Steinstraße gibt’s derweil eine kleine, aber feine Überraschung. Als „Vorband“ für die eigentlich allein auf dem Programm stehende Gruppe Soulburner treten kurzfristig die Laut(r)e(r) Mädels auf. Der junge Chor unter der Leitung von Ulrich Nolte überzeugt unter anderem mit dem vokal herausfordernden „We Walk Together“ aus dem Musical „Grease“. Danach ist der Boden bestens bereitet für Ruth Börner und ihre Band, die Stücke aus unterschiedlichen stilistischen Bereichen selbst unplugged noch mit reichlich Energie in die Seelen – ganz namensgemäß – der Zuhörer einbrennt. In eine ganz andere musikalische Richtung geht derweil der Auftritt der Irish-Folk-Band Assana in der Stiftskirche. Hier gibt es unter die Haut gehende traditionelle irische Folklore im ruhigen Raum mit einem Publikum, das jedem Ton konzentriert nachspürt. Ein echter Ruhepol in der ansonsten ziemlich dynamischen Nacht. Ebenfalls eher ruhig, aber keineswegs kraftlos geht es im Alcatraz zu, wo die beiden Mitarbeiter-Kollegen der RHEINPFALZ-Kulturredaktion Katharina Kovalkov (Gesang) und Matthias Haag (Gitarre, Gesang) als gut eingespieltes Duo COOL’tur frisch arrangierte Covers bekannter Songs und sauber durchkomponierte eigene Stücke (wie etwa das unter die Haut gehende balladeske „Colored Waters“) im sonoren Rock-Pop-Folk-Gewand präsentieren. Originell zeigt sich kurz danach in einer Garage in der Fliegerstraße die Pälzer Cantry Bänd, die etwa in Anlehnung an den Hit „Cover Of The Rolling Stone“ unbedingt „in die Bravo roi“ will. Dabei bestehen die Musiker augenzwinkernd darauf, dass sie selbst die pfälzischen Originale, alle anderen nur die Covers spielen. Auf dem Rückweg in die Innenstadt gerät man in und vor der Pfalzgalerie mit den Rosevalley Sisters und Songs wie „Bei Mir Bistu Shein“ in einem musikalischen Zeitstrudel in die 30er und 40er, bleibt mit zeitlosen Hits à la „Englishman In New York“ in der Interpretation von Stephan Flesch und Thomas Rieder auf der Stiftsplatz-Bühne ebenfalls noch ein wenig in der Nostalgie-Schleife, um dann im Zink-Museum bei einer Session mit knackigem Jazz & und Co. noch einmal eine Rolle rückwärts in der Zeit zu machen. Langsam wird’s dann auch Zeit für den Höhepunkt des Abends. Vorbei am The-Snug-Pub, wo sich gerade die Band Acoustic Fight vor dichtem Publikum durch ein großes Programm aus Rock, Pop und Reggae spielt, hinunter zur Fruchthalle, wo sich der Anfang des Konzerts von Meret Becker wegen technischer Probleme gerade verzögert. Aber dann geht’s doch los. Und: Nichts da ist’s plötzlich mit Vertrautem, mit Mainstream. In ruhigen, manchmal doch arg melancholischen Kompositionen spielt die vielseitige Schauspielerin und Musikerin stilistisch kaum greifbare, inhaltlich oft mit Persönlichem gefüllte Songs, in denen es unter anderem ums Loslassen, Finnland und verärgerte Frauen („Donkey Song“) geht. Zusammen mit ihrer einfühlsamen Band spielt sie dabei alle möglichen Instrumente bis hin zur singenden Säge, lässt ihre manchmal wie aus einer anderen Dimension herüberklingende Stimme verträumt ins Publikum gleiten. Das war mal was Anderes, mal was Neues. Sehr eindrücklich, das Ganze. b zufällig oder vom Veranstalter beabsichtigt: Im klassischen Genre ergaben sich bei der Langen Kulturnacht diesmal interessante programmatische Verbindungslinien. So auch im Bereich der Alten Musik, auf deren Spuren sich der Rezensent begab. Das begann mit dem Bruno-Hermann-Preisträgerkonzert im SWR-Studio. Dabei waren einige technisch sehr versierte und interpretatorisch gereifte Beiträge historischer Aufführungspraxis zu erleben: Der Komet unter den Nachwuchspianisten, Leon He, gestaltete Bachs Klavierkonzert d-moll im Kopfsatz in plastischer Linienführung, folgte einem rhythmisch straffen Impuls und leistete filigrane motivische Detailarbeit. Der zweite Satz zeigte einen etwas romantisch inspirierten Charakter mit Rubato, fand aber zu klanglicher Expressivität. Im stürmischen Finalsatz mussten beide Klangpartner, Solist und Kammerphilharmonie Mannheim, dem rasanten Tempo Tribut zollen. Letztlich erwies sich aber die 1995 im Rhein-Neckar-Dreieck gegründete Kammerphilharmonie als Klangkörper, der sich mit historischer Aufführungspraxis intensiv auseinander setzt und durchsichtig und in feiner Ziselierung agiert. Davon profitierte auch die ebenfalls hochbegabte Sopranistin Maria Epivanov, deren innige und beseelte Stimme eine Opernarien von Händel sowie eines seiner kunstvollen Kirchenlieder zum Erlebnis machte. Als stilistischer Kontrast setzte sich der Posaunist Vinzent Roßbach mit der Romanze von Carl Maria von Weber durch: Ausdrucksvolle melodische Linien und sichere Tongebung prägten sein Spiel. Das offenbarte satte Tiefen, sonore Mittellagen und butterweiche Kantilenen in der hohen Tenorlage. Weiter ging’s zum Quattropolitan Ensemble in der Martinskirche, das mit Raritäten in Repertoire und Besetzung ein interessiertes Publikum für diesen ganz eigenen interpretatorischen Weg gewinnen konnte. Stilistische Kompetenz zeichnete das Quartett um Spiritus Rector Simon Graeber an Orgel und Cembalo aus, soliden Continuopart gestaltete Anne Clement auf der Viola da Gamba, wobei sie neben Christina Ewald auch exzellent verschiedene Blockflöten – beide in feinsten artikulatorischen Nuancen – spielt. Die eigentliche Entdeckung war die Sopranistin Karline Cirule, die bei einem Lamento von Monteverdi herausragend hinsichtlich Klarheit, Reinheit und Schönheit Maßstäbe setzte. Elegant umschmeichelten die Blockflöten diese im reinsten Melos aufblühende Stimme, und dezent agierten die Instrumentalisten dazu. Zeigten diese Ausführenden fundierte Kenntnisse barocker Affektenlehre sowie der Stil- und Ausdrucksmittel, so waren in der Stiftskirche gänzlich andere Detailkenntnisse erforderlich. Die historische Zeitreise ging vom Barock ins Mittelalter, bei angepasster Illumination in der halbkreisförmigen Aufstellung in der Apsis des Chorraums. Das Hildegard-Ensemble der Städtischen Musikschule unter Gesangslehrerin Anja Lehmann bezog hier Stellung und eine künstlerisch eindrucksvolle Position: Über vier Jahre hat sich dieses Vokalensemble die Umsetzung von geistlichen Gesängen der Äbtissin Hildegard von Bingen (1098 bis 1179) erarbeitet. Dabei spielt bei den Antiphonen (Wechselgesänge), Responsorien (Antwortgesänge) und Hymnen (Lobgesänge) zur einheitlichen Deklamation und Feinabstimmung die Zeichengebung der Leiterin eine wichtige Rolle. Zumal sich die Hildegard-Gesänge stilistisch von der Gregorianik zusätzlich unterscheiden. Es gelangen Interpretationen in bestechender Reinheit.

Lässt auch mal die Säge singen: Meret Becker.
Lässt auch mal die Säge singen: Meret Becker.
Inszenierung im atmosphärischen Kirchenraum: das Hildegard-Ensemble mit Gesängen der Äbtissin in der Stiftskirche.
Inszenierung im atmosphärischen Kirchenraum: das Hildegard-Ensemble mit Gesängen der Äbtissin in der Stiftskirche.
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