Grünstadt Pillen vom Hausmeister

Im Pflegebereich können schwarze Schafe hohen finanziellen Schaden anrichten.
Im Pflegebereich können schwarze Schafe hohen finanziellen Schaden anrichten.

Ein Hausarzt, der deutlich höhere Leistungen abrechnete, als er am Patienten tatsächlich erbracht hatte. Eine Pflegedienst-Mitarbeiterin, die gar nicht entsprechend qualifiziert war und sich darüber hinaus mehr um den Inhalt der Hausbar als um die pflegebedürftige Patientin kümmerte. Das sind zwei Fälle, mit denen sich die bei der Polizeidirektion Neustadt angesiedelte Arbeitsgruppe Medicus in jüngerer Vergangenheit beschäftigt hat. Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen ist das Metier der Ermittlergruppe, die seit 2006 existiert und für alle Fälle im Kreis Bad Dürkheim sowie in Neustadt zuständig ist. Die Sache mit der trinkfesten Pflegekraft aus Osteuropa sei einer der ungewöhnlicheren Fälle gewesen, sagt Johannes Koch, Leiter der Arbeitsgruppe (AG) Medicus. Sie war von einem ambulanten Dienst für die Intensivpflege einer hirngeschädigten Patientin eingeteilt. Deren Angehörige stellten irgendwann fest, dass die Schnapsvorräte in der Hausbar kontinuierlich abnahmen. Über den Medizinischen Dienst der Krankenkasse (MDK) und die Staatsanwaltschaft landete die Angelegenheit bei der AG Medicus, und die Neustadter Beamten nahmen die Ermittlungen auf. Inzwischen ist die Geschichte geklärt: Es stellte sich heraus, dass die vermeintliche Pflegekraft lediglich als Hauswirtschafterin ausgebildet war. Für die Intensivpflege hätte sie nicht eingesetzt werden dürfen. Ermittler arbeiten sich durch riesige Datenmengen Der erste Fall, der im Bereich des Polizeipräsidiums Rheinpfalz vor Gericht landete, war ebenfalls Sache der Neustadter Ermittler. Es ging um Abrechnungsbetrug in recht großem Stil, der Schaden belief sich auf über 300.000 Euro. Die beiden Geschäftsführerinnen eines ambulanten Pflegediensts wurden vom Amtsgericht Speyer zu Bewährungsstrafen knapp unter zwei Jahren verurteilt. Bis solche Fälle vor Gericht landen, müssen sich die fünf Mitglieder der AG Medicus in Neustadt durch beachtliche Aktenberge und zahlreiche Computerdateien wühlen. „Im Schnitt arbeiten wir ein bis zwei Jahre an einem Fall. Wir müssen meist riesige Datenmengen sichten“, berichtet Koch, der die Arbeitsgruppe seit 2010 leitet. Die überwiegende Arbeitszeit verbringe man deshalb am Computer. Da bei der Pflege aber auch noch vieles handschriftlich auf Papier festgehalten werde, kämen oft noch zahlreiche Aktensammlungen dazu. Daten und Akten werden zuvor bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt – natürlich nur, wenn ein hinreichender Verdacht vorliegt. Aber auch dann gehen die Neustadter Ermittler laut Koch behutsam vor: „Wir rücken zwar mit großer Mannschaft an, passen aber schon auf, dass das Image zum Beispiel eines Arztes nicht zerstört wird. Wir machen das unter der Grasnarbe“, so der Leiter der Gruppe. Schließlich komme es auch vor, dass sich ein Verdacht doch nicht bestätige. Es müsse schon etwas sehr Gravierendes vorliegen, damit man eine voll besetzte Praxis stürme und die wartenden Patienten wegschicke. 35 laufende Verfahren in Sachen Abrechnungsbetrug werden derzeit in Neustadt bearbeitet. Die Anzahl der Fälle sei steigend, stellt Koch fest. Da überwache schon mal verbotenerweise ein Hausmeister die Medikamentenvergabe, rechne ein Arzt Hausbesuche ab, die gar nicht stattgefunden haben, oder es werden maßgefertigte Hilfsmittel bei der Krankenkasse in Rechnung gestellt, obwohl ein Produkt von der Stange zum Einsatz gekommen ist. Zwar sei nur ein kleiner Teil der im medizinischen Bereich Tätigen als schwarze Schafe zu bezeichnen. Diese könnten aber einen teilweise hohen finanziellen Schaden anrichten: „Vor allem bei der Pflege kann das enorm sein. Ein Patient in der Intensivpflege kostet grob geschätzt 22.000 Euro im Monat. Wenn man das dann bei mehreren Patienten aufs Jahr hochrechnet, ist man schnell bei Millionenbeträgen.“ Die Gewinnspanne sei hoch, da könne sich für Kriminelle ein Einstieg in den Pflegebereich lohnen. Überall gibt es Abrechnungsbetrüger Neustadt sei aber kein Schwerpunkt für solche Machenschaften, betont Koch: „Das verteilt sich kunterbunt über das Präsidialgebiet.“ In Rheinland-Pfalz gebe es in jedem Polizeipräsidium eine vergleichbare Arbeitsgruppe, aber nicht alle Bundesländer setzten auf eine spezielle Ermittlergruppe. In Hessen zum Beispiel würden Fälle von Abrechnungsbetrug ausschließlich von der Generalstaatsanwaltschaft bearbeitet, berichtet Koch. Das Saarland hingegen sei sehr gut aufgestellt. Und gehe mit Fällen auch eher in die Öffentlichkeit: „Die sind da rabiater, Beispiel Uniklinik Homburg.“

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