Grünstadt Mit Zylinder und Spreizer

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Ein Massenunfall mit zahlreichen Schwerverletzten auf der B 271 – das war das Szenario, das sich Jochen Lander, Leiter des Technical Rescue Teams (TRT) der Freiwilligen Feuerwehr Bockenheim-Kindenheim, und Matthias Klee von der Grünstadter Feuerwehr für eine seltene Großübung ausgedacht hatten. Mehr als 70 Einsatzkräfte trainierten am Donnerstagabend auf dem Platz an der Emichsburg die Personenrettung aus völlig demolierten Fahrzeugen.

Vier Pkw hatte Lander beim Schrotthändler bestellt. Auf dem Übungsgelände werden sie in zweistündiger Arbeit mit Gabelstaplern in Position gebracht und dann „realitätsnah verformt“, wie er erläutert: Ein weißer Wagen wird unter einen Anhänger mit „Gefahrgut“ geschoben, ein Subaru „klebt“ mit komplett eingedrückter B-Säule an einem Laternenpfahl, ein grünes Auto liegt auf der Seite und ein roter Golf auf dem Dach. Drinnen sitzen neben Dummys auch echte Menschen. David Flörsch, der durch die zerborstene Windschutzscheibe des Subaru blinzelt, und Sarah Winkler in dem weißen Wagen mit dem zerdrückten Fußraum fühlen sich ziemlich eingeengt, lächeln aber tapfer. Besonders unbequem ist es für Etienne Farge und Lisa Löchel im Auto, das auf der Seite liegt. Aber alle Opfer müssen sich noch gedulden. Eine Videokamera wird hoch über dem Geschehen befestigt, der Verpflegungszug rollt an. Dem Golffahrer erklärt Klee, wie er sich verhalten soll: „Nach dem Überschlag hast du einen Schock und versuchst immer wegzurennen.“ Dann geht plötzlich alles ganz schnell. Wehrleute eilen mit vielen Geräten herbei, um Winkler zu befreien. Gleichzeitig wird von der anderen Seite die „gefährliche“ Flüssigkeit von dem Anhänger abgepumpt. „Wir sind mit fünf Fahrzeugen angerückt, darunter der Gerätewagen Gefahrgut“, spricht Matthias Klee für die Grünstadter Wehr, die laut Lander um die Übung gebeten hatte. Im Fokus steht die Sicherheit von Einsatzkräften und Verletzten. So geht es auch darum, beim Zerlegen der Unfallautos deren Stabilität zu gewährleisten. Beim weißen Wagen wird, da das Dach nicht wie geplant entfernt werden kann, eine weitere „Tür“ in die Karosserie geschnitten. Als sich die Feuerwehrleute zu Winkler durchkämpfen, wird an dem Subaru mit einem Rettungszylinder die B-Säule nach außen gedrückt und mit einem Spreizer das Lenkrad angehoben. Sobald Flörsch von den Helfern angefasst wird, gibt er markerschütternde, authentisch wirkende Schmerzensschreie von sich. Ganz ruhig geht derweil das Bergen der Dummys aus dem Überschlag-Fahrzeug vonstatten. Da es dämmert, wird ein großer Beleuchtungsballon, ein so genannter Powermoon, herangeschoben. Ein Feuerwehrmann hat sich durch die Heckklappe zu den Verletzten vorgearbeitet. Als Innerer Retter, der bei jedem schwereren Unfall eingesetzt wird, hat er die Aufgabe, den Patienten zu beruhigen und zu schützen, etwa mit einer Decke gegen umherfliegende Glassplitter. Die Stabilisierung der zwei Personen, die kopfüber in den Gurten hängen, ist die Aufgabe des Teams, das am grünen Auto zugange ist. „In dieser Lage steigt der Druck in den Blutgefäßen mit der Zeit so stark an, dass sie reißen können. Gehirnschäden sind nicht auszuschließen“, erläutert der Leitende Notarzt Dirk Ehrler. Natürlich passiert Farge und Löchel nichts – in Wirklichkeit sitzen sie „irgendwie“. Bis sie den seitlich liegenden Wagen auf einem Spineboard für Wirbelsäulenverletzte verlassen können, dauert es aber noch eine gefühlte Ewigkeit. Die Krux: Eine Rettung über das Autodach ist nicht möglich, da es direkt an einem stabilen Zaun liegt – der auch eine Hauswand sein könnte. So muss die oben liegende Fahrzeugseite herausgetrennt werden. Letztendlich sind auch die letzten Unfallopfer befreit. „Eine rundum gelungene Übung“, urteilt Lander. Sicherlich ließe sich das eine oder andere Detail noch optimieren, aber die Herausforderungen an den vier Autos, jeweils zwei für jede Wehr, seien gut bewältigt worden, so der Übungsleiter von der Feuerwehreinsatzzentrale der Verbandsgemeinde Grünstadt-Land. Sein kreisweit führendes TRT zur technischen und patientenorientierten Rettung von Verkehrsunfallopfern werde immer häufiger gebeten, Lehrgänge anzubieten.

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