Grünstadt „Ich habe einen Traum“

Wer am Samstagabend im Evangelischen Gemeindehaus in Eisenberg als Auftakt der Theatersaison leichte Muse einer Schlagersängerin erwartet hatte, wurde enttäuscht. Katja Ebstein hat in ihrer Rolle als Schwester Marie Claire in dem Stück „Sister Class“, unterstützt von Stefan Kling als klavierspielender Mönch, eine tiefsinnige und dennoch humorvolle Show auf die Bühne gebracht, die Eindruck gemacht hat. Das Publikum war begeistert.

Leider ist es nicht so zahlreich erschienen, wie es die Künstlerin und ihr mehr im Hintergrund wirkender Partner – ein wirklich herausragender Pianist – verdient gehabt hätten. Nur rund 65 Prozent der Karten wurden verkauft. Doch wer gekommen ist, hat es sicherlich nicht bereut. Die „große Dame der deutschen Unterhaltung“, wie sie vom Beigeordneten Georg Grünewald in seiner kurzen Begrüßung bezeichnet wird, führt mit Engagement und Leidenschaft durch ein „Lebenshilfe-Seminar“, das nachhaltig wirken dürfte. Nicht nur, weil es vollgestopft ist mit Weisheiten – verpackt in Lieder zahlreicher Stilrichtungen. Sondern vor allem, weil Ebstein, die Bertold Brecht, Heinrich Heine und Shakespeare zitiert, die Kursleiterin absolut authentisch spielt. Marie Claire, „Ergebnis des Zusammentreffens der hilfreichen amerikanischen Armee und der guten deutschen Fruchtbarkeit“, verbrachte ihre ersten Jahre in Brooklyn, New York, wie die Sängerin und Mimin sächselnd zu erzählen beginnt. Geprägt von Erfahrungen mit dem Gegensatz von Arm und Reich habe sie mit 17 erkannt, dass ihr sehnlichster Wunsch sei, etwas für Menschen zu tun und ihre Situation zu verbessern. Sie ging ins Kloster. In schwarzer Kutte und mit Nickelbrille folgt nun der erste Teil des Seminars. „Ich bin eine der letzten Normalen“, sagt die Seniorin mit den langen Haaren selbstbewusst und weist darauf hin, dass sie weder Piercings hat noch chatten kann, „und von chillen ganz zu schweigen“. Freiheit fange im eigenen Kopf an, trichtert sie dem Publikum in einem Lied ein und bittet den lieben Gott, doch mal runter zu kommen und sich die Bescherung anzuschauen. Ihren Sprechgesang trägt Ebstein mit viel Herzblut sowie überzeugender Gestik und Mimik vor. „Ich habe einen Traum“, verkündet sie Martin Luther Kings Vision, dass „eines Tages niemand mehr hungern müsse und sich alle Menschen die Hand geben am Tisch der Brüderlichkeit“. Ganz versonnen lauscht das Publikum, und als der letzte Ton verklungen ist, hört man jemanden ganz angetan seufzen: „Schön!“ Im nächsten Chanson wirft Ebstein einen Blick in die Dritte Welt und fragt: „Soll ich dem trau’n, was ich weiß? Soll ich glauben, was ich seh’?“ Ausgezeichnet! „Wenn icke einmal reich bin, koof ick mia die janze Welt!“, trällert das in Niederschlesien geborene und in Berlin aufgewachsene Multitalent und offenbart dann bei einem Gospel auf Englisch ihre fantastische Soul-Stimme. Die Zuschauer klatschen im Rhythmus mit. „Leben, Liebe, Lust, Leidenschaft und Laster“, zählt Ebstein fünf wesentliche Facetten des menschlichen Daseins auf und schickt fünf „L“ hinterher, die niemand gebrauchen kann: „Lustlosigkeit, Langeweile, Leere, Lymphdrüsenentzündung und ein Los der süddeutschen Klassenlotterie.“ Es macht wirklich Spaß, der Nonne zuzuhören, die nach der Pause eine Uniform der Heilsarmee trägt. „Bioradieschen im Klostergarten zu ernten, kann doch nicht alles gewesen sein, was Gott mit mir vorgehabt hat“, erklärt sie ihren Gang nach Afrika, wo sie fortan missionarisch unterwegs war. Schließlich kommt sie zu der Erkenntnis: „Wir müssen doch keine Liturgien dorthin transportieren. Tun ist viel besser als reden“ und singt tanzend einen flotten afrikanischen Song. A cappella haucht sie Bettina Wegners Lied „Sind so kleine Hände“, und geschmeidig wie eine Katze bewegt sich die 69-Jährige zu der sehr gefühlvoll präsentierten Ballade „My Funny Valentine“ über die Bühne. Alle Achtung!

x