Grünstadt Gelenkersatz birgt Probleme

KAISERSLAUTERN. Künstlicher Gelenkersatz: ein Thema mit Brisanz. Werden zu viele Gelenke durch Prothesen ersetzt? Haben sich die Kliniken hier eine neue Geldquelle erschlossen? Sind die Betroffenen zu gutgläubig und vor allem zu bequem, einen anderen Weg zu gehen, der für sie mit mehr Anstrengung verbunden ist? Marita Gies hat mit Paul Huchzermeier, dem Leitenden Oberarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie im Westpfalz-Klinikum, gesprochen.

Was raten Sie Patienten mit Gelenkproblemen?

Mein Rat wäre: Gehen Sie schnell zu Ihrem Arzt. Es sollte eine ausführliche und komplette Diagnostik erfolgen. Hören Sie auf die Ratschläge Ihrer Ärzte, insbesondere was Übergewicht, Stoffwechselerkrankungen und ähnliches betrifft. Bewegen Sie sich und treiben Sie regelmäßig die Sportarten, die man Ihnen vorschlägt. Wenn es um eine Operation geht, informieren Sie sich ausführlich und holen Sie sich gegebenenfalls eine zweite Meinung ein. Kein Arzt wird deswegen beleidigt sein. Hören Sie nicht auf wohlgemeinte Ratschläge aus Ihrem Umfeld. Machen Sie sich selbst ein Bild und treffen danach Ihre Entscheidungen. Denken Sie daran – Gelenkerhalt ist immer einem Ge-lenkersatz vorzuziehen, auch wenn die Nachbehandlung oft viel aufwendiger ist. Ihre Kritik geht dahin, dass viele Gelenkprothesen zu früh und damit vielleicht unnötig eingesetzt werden. Wie kommen Sie zu der Meinung? Gelenkarthrose entwickelt sich über viele Jahre. Ausnahmen sind Unfälle oder akute Entzündungen. Oft stellen sich die Betroffenen erst dann beim Arzt vor, wenn das betroffene Gelenk schmerzt. Zunächst wird eine differenzierte Ursachenabklärung der Gelenkbeschwerden vorgenommen. Stellt der Arzt nach den umfassenden Untersuchungen die Diagnose „Gelenkarthrose“, ist ein fundierter „Lebensplan“ für den Patienten ratsam. Oft kann konservativ, im Bedarfsfall aber auch operativ behandelt werden, um ein weiteres Fortschreiten der Gelenkarthrose zu verhindern. Sicherlich muss der Patient für die Argumente seines Arztes empfänglich sein und seinen Rat befolgen; andererseits muss der Arzt alle Behandlungsmöglichkeiten kennen und zielgerichtet einsetzen. Ziel ist es, das Entstehen von Arthrose zu verhindern – wenn sie doch beginnt, sind Gelenkerhalt oder -wiederherstellung die obersten Ziele. Erst die Gelenkprothesenversorgung abzuwarten, ist inakzeptabel. Wenn man aber doch mit einer Gelenkprothese auf einen Schlag alle Probleme los ist ... Das ist ja nicht unbedingt so, denn die Endoprothetik birgt Probleme. Für den Patienten ist das zwar oft der bequemere Weg, aber dieses Ersatzteil aus Metall und Kunststoff kann, ähnlich wie beim Auto, verschleißen oder locker werden. Dann muss man wieder operieren, was sehr aufwendig sein kann. Die durchschnittliche Haltbarkeit von Endoprothesen liegt bei 15 Jahren. Da kann sich jemand mit 40 Jahren ausrechnen, wann der erste Wechsel des Implantats fällig wird. Ist es dann nicht besser, frühzeitig über Arthrosevermeidung und Gelenk-Rekonstruktion nachzudenken? Trotzdem werden auf Teufel komm raus Gelenke ersetzt. Warum? Die deutschen Krankenhäuser stehen seit Jahren unter einem enormen wirtschaftlichen Druck. Private Träger müssen ihre Aktionäre zufriedenstellen, was beim Westpfalz-Klinikum als kommunalem Haus nicht der Fall ist. Der einfachste Weg, um Einnahmen zu steigern, sind gewinnbringende Operationsmethoden wie Prothesen-Erstimplantationen; das geht schnell und bringt Geld. Konzentriert sich ein Krankenhaus auf die Operation jüngerer „gesunder“ Patienten, steht es finanziell auf der Gewinnerseite. Ältere Patienten mit einem bevorstehenden Implantatswechsel werden in solchen Häusern abgelehnt. Gerade behandeln wir eine auswärtige Patientin, deren Metall-Hüftprothese gelockert war. Weder der Erstoperateur noch andere Kliniken sahen sich in der Lage, den Hüftprothesenwechsel durchzuführen. Maßgeschneiderte Sonderimplantate bedeuten einen enormen Aufwand und Kosten. Solche Operationen konzentrieren sich bundesweit in wenigen Krankenhäusern, so auch im Westpfalz-Klinikum, wo wir Patienten aus der ganzen Republik behandeln. Prothesen waren lange Zeit das Allheilmittel. Wieso der Sinneswandel? Es ist wohl unserer technisierten Wohlstandsgesellschaft geschuldet, dass solche Ansichten vor allem in der Laienpresse propagiert wurden. Viele seriöse Operateure haben dies in der Vergangenheit nicht mitgemacht und werden dies auch in Zukunft nicht tun − wohl wissend um die Probleme mit Endoprothesen. Wer einmal auf der Schiene des Gelenkersatzes sitzt, kommt davon nicht mehr herunter. Gerade letztes Jahr haben wir in unserer Klinik eine 34-jährige übergewichtige Patientin mit gelockertem Kniegelenkteilersatz behandelt, den sie ein Jahr zuvor implantiert bekommen hat. Hätte bei dieser jungen Frau die „Prothesenkarriere“ nicht vermieden werden können? Gehen wir von einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 85 Jahren aus, ist allein der Gedanke an die Anzahl der bevorstehenden Prothesenwechsel besorgniserregend. Warum sind Prothesen nicht immer die beste Lösung? Wie das Wort schon sagt – eine Prothese ist künstlich. Sie entspricht nicht dem natürlichen Gelenk, sondern ahmt es in seiner Form und Funktion nach. Eine Prothese hat weder Gefühl noch eine Stoffwechselfunktion. Ihr fehlt jede Möglichkeit einer Regeneration bei Verschleiß oder eine Abwehrmöglichkeit gegen Infektionen oder Verletzungen. Neben Infektionen spielen in den letzten Jahren Allergien gegen Metall- und Zementbestandteile eine zunehmende Rolle. Der Grund ist unklar und Anlass intensiver Forschungen. Worauf sollten zum Beispiel Jugendliche achten, wenn sie nicht schon vor ihrem 40. Lebensjahr mit Ersatzteilen bestückt sein wollen? Neuere Forschungsergebnisse zeigen überraschenderweise, dass der Gelenkknorpel von Kindern und Jugendlichen wesentlich weniger widerstandsfähig gegen übermäßige Belastung durch Übergewicht ist und deshalb dadurch bereits im jungen Erwachsenenalter Gelenkarthrosen entstehen können. Das ist beunruhigend, denn wir gehen davon aus, dass die Anzahl der Übergewichtigen im Kindes- und Jugendalter zunimmt. Gleichzeitig sinkt die Bereitschaft, Sport zu treiben. Die Kombination aus Fehlernährung, Übergewicht und mangelnder körperlicher Betätigung lässt für die Zukunft nichts Gutes erwarten und wird in einigen Jahren ein massives volkswirtschaftliches Problem darstellen: Die Kosten im Gesundheitswesen werden steigen. Unser Rat: schon im Kindes- und Jugendalter auf regelmäßige und gesunde Ernährung achten, Übergewicht unbedingt vermeiden, runter von der Couch und Sport treiben! Gibt es Alternativen zu Prothesen? Wenn das Gelenk erst einmal zerstört ist, gibt es als Alternative zur Versteifung nur den endoprothetischen Gelenkersatz. Allerdings gibt es eine Vielzahl von Behandlungen, um die Entstehung einer Gelenkarthrose zu verhindern oder, falls sie beginnt, das Gelenk wiederherstellend zu behandeln. Konservative Maßnahmen sind die Krankengymnastik, Elektro- und Bäderbehandlungen sowie die Behandlung mit knorpelregenerativen Medikamenten, die als Tabletten eingenommen oder ins Gelenk gespritzt werden können. Die Wirksamkeit dieser sogenannten Chondroprotektiva ist allerdings nur bei Arthrosen der Grade 1 bis 2 merkbar und nicht unumstritten. Kortison sollte nur bei Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises gespritzt werden, da Kortison den Gelenkknorpel schädigt und Gelenkinfektionen begünstigt.

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