Grünstadt Der Hüter des heiligen Rasens

Ein Platzwartversteher: der Autor.
Ein Platzwartversteher: der Autor.

latzwarte gelten als wortkarg, autoritär und ständig mies gelaunt. Was niemand weiß: Platzwart ist ein Full-Time-Job! Feierabend um kurz nach halb zwölf? Nicht für den Hüter der Bewässerungsanlage! Ein Blick auf den Tagesablauf eines gewöhnlichen Rasenschnipplers zeigt: Echte Platzwarte führen ein Leben am Limit zwischen Platzsperre und Raiffeisenmarkt. 6:17 Uhr: Nach einer Nacht auf dem kargen Boden des Geräteschuppens erwacht der Platzwart alleine durch seinen Glauben an die fachgerechte Instandhaltung eines Betriebsgeländes. Zum Frühstück verzehrt er einen Eimer Sand (grobkörnig). 7:28 Uhr: Unter dem mahnenden Blick eines Fotos von Rolf Rüssmann, der einst drohte, man würde der gegnerischen Mannschaft wenigstens den Rasen kaputt treten, wenn man denn schon nicht gewinne, sortiert der Platzwart gewissenhaft seine Arbeitsutensilien: einen Rechen, ein Handy für Telefonate mit dem örtlichen Sportamt, fünf „Rasenplatz gesperrt!“-Schilder. Anschließend folgt ein kurzer Wutanfall darüber, dass „Platzwart“ kein geschützter Ausbildungsberuf ist. Die Wut wird mit einem Eimer Sand erstickt (grobkörnig). 10:15 Uhr: Die Platzpflege ist nun in vollem Gange. Wie im Rausch füllt der Platzwart Löcher mit grobkörnigem Sand, entfernt Unkraut, sät neues Unkraut aus und tötet acht Maulwürfe mit einem Kreidewagen. Die erlegten Tiere wird er wenig später beim Mittagessen verspeisen. 14:25 Uhr: Nachmittagsdepression. Der Platzwart fährt mit seinem Rasenmäher ziellos über das Gelände, auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Vertikutieren, aerifizieren, dem Gras beim Wachsen zusehen – all das erscheint ihm plötzlich fremd, falsch, aussichtslos. Ein Telefonat mit dem Sportamt bringt Hoffnung: Am frühen Abend soll der Platzwart entscheiden, ob auf dem Rasenplatz ein Training der ersten Mannschaft stattfinden darf. Bis dahin heißt es durchhalten, alter Freund! 15:53 Uhr: Der Platzwart ist in höchster Alarmbereitschaft! Unweit des Sportgeländes hat er eine Gruppe Minderjähriger mit einem Fußball gesichtet. Nun muss jeder Handgriff sitzen! Als Busch verkleidet sitzt der Platzwart eine halbe Stunde auf der Lauer, um ein unerlaubtes Betreten des Rasens zu ahnden. Glück gehabt – nichts passiert. Doch die nächste Begegnung mit Freizeitkickern verläuft vielleicht nicht so glimpflich. 17:02 Uhr: Es droht neuer Ärger: Am Sportgelände fährt der Greenkeeper des benachbarten Golfclubs auf einem Bosch-Multifunktionsmäher vorbei. Blicke treffen sich wie Peitschenhiebe. „Verdammter Snob“, murmelt der Platzwart leise vor sich hin, zieht sein T-Shirt aus und präsentiert seinen von Universaldünger gestählten Oberkörper. Der Greenkeeper lächelt abschätzig und fährt von dannen. Was er noch nicht weiß: Heute Nacht wird jemand sämtliche Löcher auf der Golfanlage ausgipsen. 17:47 Uhr: Erneutes Telefonat mit dem Sportamt. Der Behördenvertreter drängt darauf, dass der Platzwart den Rasen für das Training der ersten Mannschaft freigeben möge. Es habe schließlich seit vier Tagen nicht mehr geregnet. Missmutig stapft der Platzwart zur Sprenkleranlage und setzt den kompletten Platz unter Wasser. Platzfreigabe im März? Nicht in diesem Leben! 17:49 Uhr: Mittels eines Gartenschlauchs intensiviert der Platzwart seine Bewässerungsaktivitäten. 18:12 Uhr: Der Platzwart schickt Fotos des in desaströsem Zustand befindlichen Platzes an den Trainer der Ersten Mannschaft, den Abteilungsleiter, das Sportamt und den Bundespräsidenten. Die dramatischen Bilder verfehlen ihre Wirkung nicht: Für die Fußballer wird kurzfristig ein Waldlauf anberaumt. Ein guter Tag für den Platzwart. 22:08 Uhr: In seinem Schuppen schaut sich der Platzwart Aufnahmen der Regenschlacht von Frankfurt bei der Weltmeisterschaft `74 auf Youtube an. Es ist sein Verdienst, dass er heute einen solch neuerlichen Frevel verhindert hat. Erleichtert schreibt er noch einige Stunden an seinem Manifest gegen Kunstrasenplätze. Schließlich übermannt ihn der Schlaf. Schon morgen erwarten ihn neue Herausforderungen. Die Kolumne Unser Autor kann auf eine lange und erfolglose Karriere in den Niederungen des Amateurfußballs zurückblicken. Hier schreibt er wöchentlich über Schwalbenkönige, Kabinenrituale und Trainingsweltmeister – rein subjektiv natürlich, denn die Wahrheit liegt sowieso auf dem Platz.

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