Grünstadt „Bürckel musste sich etwas einfallen lassen“

Eine Filmautorin aus Wachenheim, Julia Melan, hat ein Thema angepackt, das in der Pfalz über Jahrzehnte als „heißes Eisen“ galt: Die „Geburt“ der Deutschen Weinstraße. Anlass ist der 80. Jahrestag der „Taufe“ am 20. Oktober 1935. Der Film wird am Sonntag im SWR-Fernsehen gezeigt, am Donnerstag war Vorpremiere in Deidesheim.

Ein Film, der „Spaß am Nachdenken macht“, der „präzise Auskunft“ gibt: Die Mitwirkende zeigten sich bei der Diskussion nach der Vorführung rundum zufrieden mit dem, was Julia Melan aus Filmmaterial und Interviews gemacht hat. Die Wachenheimerin hat zwei ausgewiesene Kenner der pfälzischen Geschichte in der NS-Zeit für ihr Projekt gewonnen: Roland Paul vom Institut für pfälzische Geschichte in Kaiserslautern und Ludgar Tekampe, Sammlungsleiter Volkskunde und Weinmuseum am Historischen Museum in Speyer. Darüber hinaus hat sie einen Zeitzeugen gefunden, den 89-jährigen Winzer Wilhelm Benß aus Bockenheim. Zu den Interviewpartnern gehören außerdem der Leiter der Gedenkstätte Neustadt, Eberhard Dittus, und der Neustadter Verleger Peter Meininger. Letzterer kennt die Zeit zwar nicht aus eigenem Erleben – Meininger ist Jahrgang 1936 – aber aus den Erzählungen seines Vaters und Großvaters, die durch ihre anti-nationalsozialistische Einstellung in ihrem verlegerischen Schaffen stark eingeschränkt wurden. Am Anfang, so erzählte Melan, sei die Arbeit an dem Thema ziemlich „zäh“ gewesen. Über Tekampe erhielt sie dann historisches Film- und Bildmaterial, über den Bürgermeister von Bockenheim Kontakt zu dem Zeitzeugen. Benß war zwar erst neun Jahre alt, als NS-Gauleiter Josef Bürckel der Weinstraße den Namen gab, den sie noch heute trägt. Aber der Winzer erinnert sich noch recht gut daran, wie er als kleiner Junge mitlief bei dem großen Propaganda-Spektakel. „Der Coup des Gauleiters – Die Geburt der Deutschen Weinstraße“: Schon der Titel macht deutlich, worauf der Film abzielt: Es geht darum zu zeigen, was hinter der Aktion von 1935 stand. Die Lage der Winzer war schon zu Beginn der 1930er Jahre schwierig gewesen, 1934/35 verschlechterte sie sich weiter. Wegen übergroßer Weinernten, aber auch, weil mit der Ausgrenzung der Juden ein Teil des Weinhandels ausgeschaltet worden war. „Bürckel musste sich etwas einfallen lassen“, heißt es im Film. Melan lässt die Experten von heute zu Wort kommen und veranschaulicht die Geschehnisse mit historischem Filmmaterial, das „teilweise noch nie gezeigt worden ist“, wie Roland Schnell, Leiter der SWR-Sendereihe „Bekannt im Land“ sagte. Deutlich wird herausgearbeitet, dass sich hinter der leutseligen Fassade Bürckels ein fanatischer Antisemit verbarg. Nach der Deportation von 6500 Juden aus Baden und der Saarpfalz ins südfranzösische Internierungslager Gurs meldete Bürckel stolz nach Berlin, dass die Saarpfalz als erster Gau „judenfrei“ sei. Obwohl die geschichtlichen Zusammenhänge bei der Eröffnung im Vordergrund stehen, spannt der Film den Bogen weiter bis in die 1990er Jahre. Die Fremdenverkehrswerbung in den 1950ern und 1960ern, Helmut Kohl und seine Staatsgäste in Deidesheim, Kurt Beck: Sie alle sind inzwischen ein Stück der Geschichte der Deutschen Weinstraße. Nur angedeutet werden im Film die heftigen Diskussionen, die es 1985 im Vorfeld des 50. Jahrestages gab. Damals wollte man „halt feiern“. Die Debatte, die dadurch ausgelöst wurde, war gleichzeitig der Beginn der kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema. Im gleichen Jahr noch veröffentlichte der Historiker und Journalist Günther List eine Aufsatzsammlung, die noch heute Grundlage der Forschung ist (Titel: Deutsche, lasst des Weines Strom sich ins ganze Reich ergießen!). Eine filmische Bearbeitung dagegen hat auf sich warten lassen – bis jetzt. Info Der Film wird morgen, 18.45 Uhr, in der SWR-Sendung „Bekannt im Land“ gezeigt.

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