Grünstadt „Insektenschwund geht alle an“

Auch heimische Insekten wie die Blaugrüne Mosaikjungfer sehen ihren Lebensraum zunehmend schwinden. Mit naturnahen Grünflächen u
Auch heimische Insekten wie die Blaugrüne Mosaikjungfer sehen ihren Lebensraum zunehmend schwinden. Mit naturnahen Grünflächen und Gartenanlagen kann jeder helfen. Das Foto entstand im Sommer an einem Apfelbaum in Battenberg

Geht es so weiter, wird das Summen bald ganz verstummen: Laut Daten des Entomologischen Vereins Krefeld, die von 1989 bis 2016 an 63 geschützten Standorten gesammelt wurden, lässt sich ein Verlust von 75 Prozent an Biomasse bei Fluginsekten verzeichnen. Ein alarmierendes Ergebnis, findet der Nabu Eisenberg-Leiningerland. Bernd Remelius vom Nabu möchte heute in seinem Vortrag in Wattenheim für das Thema sensibilisieren. Kym Schober hat mit ihm gesprochen.

«WATTENHEIM.» Herr Remelius, steht es wirklich so schlecht um Insekten oder wird übertrieben? Wie viele Insekten hatten Sie nach Ihrer letzten Autobahnfahrt an der Windschutzscheibe kleben? Früher musste man bei entsprechendem Wetter zwischendurch an der Tankstelle die Scheibe reinigen, heute nicht mehr. Klingt banal, veranschaulicht es aber gut. Aktuelle Studien, nicht nur die Daten des Entomologischen Vereins Krefeld, zeigen tatsächlich einen enormen Schwund in der Insektenwelt: Der Nabu in Baden-Württemberg hat über 40 Studien zusammengefasst, die alle diesen negativen Trend bestätigen. Übrigens nicht nur deutschlandweit. Es betrifft viele Länder weltweit. Warum geraten Insekten eigentlich mehr und mehr ins Hintertreffen? Das hat viele Ursachen: Ein Grund sind intensiv betriebener Weinbau und Intensiv-Landwirtschaft. Dabei geht es nicht nur um die oft genannten Pflanzenschutzmittel. Es gehen immer mehr Blühstreifen verloren, Heckenzüge verschwinden, Wege werden asphaltiert. Es kommt zu einer Verinselung der Lebensräume. Und das bedeutet immer das Aussterben einiger Arten wegen Nahrungsmangel und weil es keinen genetischen Austausch mehr gibt. Es fehlen die Korridore zwischen diesen Lebensräumen, übrigens auch zwischen Schutzgebieten. Die Düngung in der Landwirtschaft sorgt für einen Schwund von Lebensraum und Nahrungsquellen der Insekten. Wieso ist die Düngung ein Problem, dadurch wird doch Pflanzenwachstum gefördert? Ja, im landwirtschaftlichen Sinn. Dünger verteilt sich in kleinen Partikeln über die Luft, landet also ebenso im umliegenden Gelände, auch in Schutzgebieten. Der Dünger reichert den Boden mit Stickstoff an und fördert den Wuchs aller Stickstoff liebenden Pflanzen. Sie verdrängen die übrigen Pflanzen – meist die Futterpflanzen für Insekten. Wildblumen bevorzugen magere Böden, also genau das Gegenteil. So kann die Düngung in der Landwirtschaft zur Reduktion der Pflanzenvielfalt führen und zum Schwund der Insekten, weil ihnen die Nahrungsgrundlage abhanden kommt. Was können Menschen in der Region tun, um die Situation zu verbessern? Jeder kann im Kleinen etwas beitragen: Legen Sie Garten oder Balkon naturnäher an, mit einheimischen Blühpflanzen, Totholzinseln und einem kleinen Teich – das kann auch nur ein Holzbottich mit Wasser sein. Viele befürchten, dass naturnah Verwilderung bedeutet, aber das stimmt nicht. Ein perfekter englischer Rasen und Steingärten sind allerdings nicht hilfreich. Und die Kommunen, was können sie in Zeiten des Geldmangels beitragen? Viel, mit wenig finanziellem und personellem Aufwand: Es gibt das sogenannte Eh-Da-Projekt. Dabei sollen gemeindeeigene Grünflächen, die vorhanden, also eh da sind, zugunsten der Biodiversität entsprechend angelegt werden. Wichtig ist bei diesem Konzept, dass es langfristig gut umsetzbar ist. Die Flächen brauchen wenig Pflege und sehen trotzdem schön aus, weil sie bunt blühen. Es gibt Experten, die dazu beraten, und es könnten sich mehrere Gemeinden zusammentun, um Kosten zu sparen. Wenn die Kommunen als Vorbild vorangehen, regt das auch die Bürger an. Schließlich geht der Insektenschwund uns alle etwas an. Info Der Vortrag „Insektensterben? Wie können wir vor Ort entgegenwirken?“ findet heute, Dienstag, 19 Uhr, in der Gemeindefesthalle in Wattenheim statt. Bernd Remelius führt in das Thema ein und steht für Gespräche zur Verfügung.

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