Frankenthal In der Ü-100-WG bleibt es beim Sie

Ein Zimmer, unterschiedliche Interessen: Herta Scheuermann (links) und Susanna Ballmann.
Ein Zimmer, unterschiedliche Interessen: Herta Scheuermann (links) und Susanna Ballmann.

Auf dem Schild von Zimmer 113 blickt ein Waschbär neugierig in die Kamera. Die Kleinbären sind bekannt für ihr gutes Gedächtnis und ihre Geselligkeit. Beides trifft auf die Bewohnerinnen des Zimmers zu: In 113 teilen zwei Damen in der Pro-Seniore-Residenz Frankenthaler Sonne 30 Quadratmeter und zahlreiche Erinnerungen an mehr als 100 Lebensjahre.

In der derzeit einzigen Wohngemeinschaft mit über Hundertjährigen geht es zu wie in jeder WG: Es gibt gute und auch schlechte Zeiten, denn nicht immer schlagen die Herzen im Gleichklang. Die Pfälzerin Herta Scheuermann ist 105 Jahre jung und ein Mensch der leisen Töne. Susanna Ballmanns Wiege hingegen stand im Banat, und sie hat sich auch mit 106 Jahren ihr donauschwäbisches Temperament bewahrt. „Ich habe immer am Sonntag Gottesdienst geschaut“, weist sie energisch auf das TV-Gerät in der Zimmerecke. „Das war Herta zu laut. Seitdem schalte ich den Fernseher nie mehr ein.“ Ihre Zimmergenossin nickt bestätigend.

Wie das damals mit dem Kinderspielzeug war

Zwischen den Betten steht ein Nachtschränkchen, dekoriert mit einer Handvoll Andenken an eine lange Vergangenheit. Dazwischen sitzt ein Puppenpärchen. Ballmann greift nach dem Mädchen und legt ihrer Mitbewohnerin den blonden Jungen in den Schoß. Scheuermann, die altersbedingt blind ist, betastet gedankenverloren das kleine Plastikgesicht und beginnt lebhaft zu erzählen: „Als Kind hatte ich keine Puppen. Es gab ja nichts.“ Erst nach der Geburt ihres Bruders Erwin 1919 kam überhaupt Spielzeug in den Haushalt. An die Baukästen von Märklin kann sie sich noch sehr gut erinnern. „Ich hatte Puppen“, schaltet sich Ballmann ein und presst das Puppenmädchen zärtlich an sich wie ein Baby. „Früher waren die aus Porzellan und sind schnell zerbrochen. Hat’s da aber Schimpferei gegeben!“ In ihren blau geblümten Oberteilen wirken die zwei Damen wie betagte Schwestern. Dabei lernten sie sich erst kennen, als sie 2014 das Zimmer auf der Pflegestation in ersten Stock bezogen.

Mit 73 Jahren kam Ballmann nach Deutschland

Ballmann kam 1910 im Kreis Timi im heutigen Rumänien zur Welt und bewirtschaftete mit ihrem Mann Johannes einen Bauernhof. Nach dem Zweiten Weltkrieg mit Flucht und jahrelanger Vertreibung baute sich das kinderlose Paar in Bukarest eine neue Existenz auf. 1983 zogen die Ballmanns nach Frankenthal. Bis zum 104. Lebensjahr lebte die seit 1984 verwitwete Donaudeutsche in ihrem eigenen Haushalt und kam erst nach einem Unfall in das Seniorenheim.

Nach Wahlheimat Landau verbringt Scheuermann Lebensabend in Frankenthal

Herta Scheuermann wiederum wurde 1912 in Ludwigshafen geboren und entschied sich nach vielen glücklichen Jahrzehnten in ihrer Wahlheimat Landau mit 85 Jahren für einen Lebensabend in der Frankenthaler Sonne. Trotz gemeinsamem Zimmer sind die Seniorinnen bis heute bei der förmlichen Anrede geblieben. „Ich habe Ihnen zum vorletzten Geburtstag Salzstangen geschenkt. Wir beide mögen es ja nicht so süß“, wendet sich Ballmann an ihre Zimmergenossin und entschuldigt sich förmlich dafür, dass sie deren diesjähriges 105. Wiegenfest am 27. März vergessen hat.

Den 107. Geburtstag der Mitbewohnerin will Scheuermann mitfeiern

Doch Scheuermann ist nicht nachtragend. „Am 31. August wird Susanna 107. Soweit ich kann, werde ich mitfeiern“, sagt sie strahlend. Und Ballmann berichtet stolz von ihren Vorbereitungen für ihr großes Fest: „Das will ich unbedingt noch erleben und esse darum ganz viel.“ Ein Kilo habe sie schon zugenommen, freut sich die schmale Greisin und greift nach ihrem Rollator, um ins Restaurant im Erdgeschoss zu gehen. Scheuermann bleibt sitzen und bekommt ihr Mittagessen im Zimmer serviert – schließlich hat in einer WG auch jeder ein Recht auf sein Privatleben.

Zusammenwohnen gibt ein Gefühl der Sicherheit

Das findet auch Monika Koßmehl, die Leiterin der Pro-Seniore-Residenz: „Zwar bewohnen die zwei Damen ein Zimmer, jede geht aber ihre eigenen Wege.“ Während Ballmann noch recht mobil und im gesamten Haus unterwegs sei, halte sich Scheuermann am liebsten im Zimmer auf, wo ihr regelmäßig eine Betreuerin der Sozialstation Krimis und Liebesgeschichten vorliest. „Es tut älteren Menschen gut, zusammen zu wohnen“, so die Erfahrung Koßmehls. „Jeder passt auf den anderen auf, das gibt ein Gefühl der Sicherheit.“

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