Frankenthal „Beschimpft und bejubelt“

Ausgedribbelt: Mesut Özil will nie wieder das Nationaltrikot tragen.
Ausgedribbelt: Mesut Özil will nie wieder das Nationaltrikot tragen.

«Frankenthal.» Mesut Özil hat nach der Affäre um die Bilder mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan einen Schlussstrich unter seine Karriere in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gezogen. Ein Schritt der überflüssig oder überfällig war? Und soll Ilkay Gündogan es ihm gleich tun? Und sollten auch die Verantwortlichen beim Deutschen Fußball-Bund jetzt Konsequenzen ziehen? Wir haben uns bei Fußballern aus dem Verbreitungsgebiet umgehört.

Ferhat Ellek (Trainer und Vorsitzender von Vatanspor Frankenthal)

War es richtig, dass Mesut Özil seinen Rücktritt aus der deutschen Fußball-Nationalmannschaft erklärt hat? „Eine schwierige Frage“, sagt Ferhat Ellek. „Ich weiß nicht, wie ich in einer solchen Situation reagiert hätte.“ Er erinnere sich noch an ein Länderspiel, das er in einem Café verfolgt habe. Damals habe Özil nicht gut gespielt, die Gäste hätten ihn beschimpft. „Dann hat er ein Tor geschossen und alle haben gejubelt.“ Özil sei eigentlich ein bomben Fußballer. „Ich denke, er hat mit Stolz für Deutschland gespielt.“ Ellek sagt, dass er Özil wohl nicht zur WM nach Russland mitgenommen hätte. „Aber Deutschland ist nicht nur wegen Mesut Özil ausgeschieden“, betont er. Ob sich was an der Situation geändert hätte, wenn Özil sich früher geäußert hätte? „Ich glaube nicht“, sagt Ellek, der in Ludwigshafen geboren wurde. Einen Rücktritt von DFB-Präsident Reinhard Grindel fordert er nicht. Ellek mein eher, dass die deutsche Nationalmannschaft einen neuen Trainer bräuchte, der frischen Wind bringt. Georg Höß (Vorsitzender Pirates F.C.) Georg Höß wird Mesut Özil im Trikot der Nationalmannschaft nicht vermissen. „Das hat nichts mit seiner politischen Einstellung zu tun“, betont der Vorsitzende der ,Piraten’“, bei denen viele Spieler mit Migrationshintergrund kicken. „Er hat in großen Spielen bislang einfach nicht die Leistung gezeigt, auch nicht im Verein bei Arsenal London“, begründet Höß seinen Standpunkt. Er hätte Özil aus rein sportlichen Gründen schon nicht für die WM in Russland nominiert. „Aber wenn man da nominiert wird, fährt man natürlich mit.“ Die Fotos von Özil und Gündogan zusammen mit dem türkischen Präsidenten Erdogan seien für die Außendarstellung der beiden Fußballer nicht gut gewesen. „Ich habe mich da zuerst gefragt, ob die beiden keine Berater haben, die sie vor sowas schützen.“ Ein Bärendienst für die Integration allgemein seien die Bilder nicht gewesen. „Jeder darf seine Einstellung haben“, sagt der 32-Jährige. Wissam Abdul-Ghani (Trainer DJK Schwarz-Weiss Frankenthal) Abdul-Ghani kann nicht verstehen, dass sich die Kritik am Abschneiden der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft so auf Mesut Özil fokussiert. „Fußball ist ein Mannschaftssport. Alle waren grottenschlecht. Thomas Müller war für mich einer der schlechtesten Spieler im Team. Der wird aber nicht kritisiert. Es ist übertrieben, Özil jetzt alleine fertigzumachen.“ Die Medien hätten das Thema hochgekocht, meint Abdul-Ghani. Dass Lothar Matthäus, Ehrenspielführer der Nationalmannschaft, Fotos mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gemacht habe, habe er erst durch Özils Äußerungen erfahren. Für Abdul-Ghani ist das nicht besser. Immerhin habe sich Özil um die Nationalmannschaft verdient gemacht, sei 2014 mit der Mannschaft Weltmeister geworden. „Dass er jetzt von allen fallen gelassen wird, finde ich nicht richtig.“ Wissam Abdul-Ghani nimmt es Özil ab, dass er mit den Fotos, die er gemeinsam mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gemacht hat, kein politisches Statement setzen wollte. „Özil ist auch nur ein Mensch, darf wie jeder andere einmal Fehler machen.“ Für Abdul-Ghani müsste allerdings Bundestrainer Jogi Löw zurücktreten: „Zu einem Neuanfang würde das für mich dazugehören, zumal einige Entscheidungen von ihm schwer nachvollziehbar sind. Beispielsweise, dass er Leroy Sané nicht mitgenommen hat und Nils Petersen erst nominierte und dann wieder aussortierte. Auch die Nominierung von Manuel Neuer, der lange verletzt war, verstehe ich nicht.“ Halil Kaya (Spieler beim VfR Frankenthal) Aus Kayas Sicht ist die Gesamtsituation für Außenstehende schwer nur zu beurteilen. „Ich weiß nur, was geschrieben wurde. Allerdings bin ich der Meinung, dass es schon vor dem Turnier in der Mannschaft nicht mehr gestimmt hat. Da hat einiges nicht funktioniert – auf allen Ebenen. Dafür jetzt einen Spieler verantwortlich zu machen, ist nicht richtig. Es haben alle Spieler versagt, wobei ich Torwart Manuel Neuer von der Kritik ausnehmen würde.“ Für Kaya hätte sich Özil schon früher zu den Bildern mit Erdogan äußern können. Seit vor ein paar Jahren schon mal Bilder mit Erdogan entstanden seien, habe sich einiges verändert. Der Rücktritt sei nachvollziehbar, weil es für Özil sicher schwierig geworden wäre. Ob das auch für Ilkay Gündogan gilt, der ebenfalls auf Fotos mit Erdogan zu sehen ist, weiß Kaya nicht. Der sei nach seiner Stellungnahme etwas aus der Schusslinie gewesen. „Es ist jetzt eine Charakterfrage, ob er sich der Situation stellt.“ Sportlich könne die Mannschaft von Gündogan sicher profitieren. Dass Jogi Löw weitermacht, begrüßt Kaya: „Er ist der richtige Mann.“ Vom Präsidenten des Deutschen Fußball-Bunds, Reinhard Grindel, erwartet Kaya, dass dieser sich den Anschuldigungen von Özil stellt.

x