Frankenthal Rarität in der Vorderpfalz

Die Früchte der Esskastanie wachsen in einer geschlossenen, lederartigen Hülle, die dicht mit langen, dünnen Stacheln besetzt is
Die Früchte der Esskastanie wachsen in einer geschlossenen, lederartigen Hülle, die dicht mit langen, dünnen Stacheln besetzt ist. Sobald die Kastanien reif sind, springen die Hüllen auf und fallen vom Baum. Erst dann sollte man sie auch einsammeln.

Herbstzeit ist in der Pfalz Kastanienzeit. „Keschde“, wie der Pfälzer die Esskastanien nennt, sind allgegenwärtig. Im Backofen geröstet, werden sie von Oktober bis Winterende auf Märkten und an Straßenecken angeboten. Wer die Kastanien jedoch nicht kaufen, sondern lieber selbst sammeln und zubereiten mag, dem sei ein Spaziergang im Pfälzerwald empfohlen. Denn rund um Frankenthal gibt es laut Klaus Graber, Vorsitzender der Pollichia Regionalgruppe Grünstadt-Frankenthal, nur geringe Bestände.

Baum des Jahres 2018 darf sich die Edel- oder Esskastanie nennen und das obwohl – oder gerade weil – sie in Deutschland eher selten vorkommt. Dabei galten die Früchte der Esskastanie schon im Mittelalter als wichtiges Nahrungsmittel. Und bereits in der Bronzezeit fanden sich erste Anbaugebiete im heutigen Südfrankreich. „Manche Wissenschaftler halten die Chinesische Kastanie für die Mutter aller Esskastanien, andere gehen davon aus, dass es auch im kaukasisch-armenischen Raum Ur-Arten gab“, berichtet der Bobenheim-Roxheimer Klaus Graber. „Unsere“ Esskastanie jedenfalls stammt aus Kleinasien, der heutigen Türkei, wo man sie schon vor Jahrtausenden als das „Brot der kleinen Leute“ bezeichnet hat. Die Römer brachten sie schließlich vor rund 2000 Jahren zusammen mit dem Wein über die Alpen in die heutige Pfalz. So ist die Geschichte der Esskastanie auch eng mit der des Weinbaus verbunden. Esskastanien wie Weintrauben bevorzugen ein ähnliches Klima – und das Holz der Kastanie ist sehr wetterbeständig, weshalb es lange für die stützenden Streben der Rebstöcke und für die Herstellung von Weinfässern verwendet wurde. Im Mittelalter war die Bedeutung der Esskastanie für die bäuerliche Landbevölkerung immens, wie Klaus Graber berichtet. Aus den Früchten gewann man Mehl, aus der Rinde krankheitslindernde Mittel. Stamm und Geäst dienten zum Heizen und Kochen, und sogar die Blätter verwertete man: Sie fanden sich als Laubeinstreu in den Trögen der Haustiere wieder. Mancherorts mussten Kastanienhaine sogar an die Stelle von Getreideäckern treten. Weithin war die Esskastanie Grundnahrungsmittel, bis sie diesbezüglich im 17. Jahrhundert von der Kartoffel abgelöst wurde. In der Rheinebene und rund um Frankenthal ist die Esskastanie jedoch eher selten zu finden. Graber sind lediglich ein älteres Exemplar in Weißenheim am Berg und ein kleiner Hain auf Freinsheimer Gemarkung bekannt, die beide als Naturdenkmäler ausgewiesen seien. Daneben befindet sich laut Graber am Hang des Battenbergs in der gleichnamigen Gemarkung ein ganzer Wald aus Hainbuchen und Esskastanien. Doch hier gestalte sich das Ernten aufgrund des Unterholzes eher schwierig. Für das erfolgreiche Keschde-Sammeln empfiehlt Graber deshalb eine Fahrt an den Haardtrand. Wenn man sich dann auf Kastaniensuche begibt, sollte man einige Dinge beachten. Keinesfalls dürfen die Früchte in Kunststofftüten gesammelt werden, betont Graber. Geeignet seien vielmehr Weiden- oder Drahtkörbe, da sie von allen Seiten Luft heranlassen. Die Früchte der Kastanie wachsen in einer geschlossenen, lederartigen Hülle, die dicht mit langen, dünnen Stacheln besetzt ist. Sobald die Kastanien reif sind, springen die Hüllen auf und fallen vom Baum. Die Früchte sollten also keineswegs direkt vom Baum gepflückt werden. Daheim angekommen ist es wichtig, die braune, holzig-ledrige Schale der Kastanien vor dem Rösten kreuzförmig einzuritzen. Dabei sollte man darauf achten, den Kern nicht zu verletzen. Vergisst man, die Schale anzuschneiden, platzen die Kastanien im Backofen später wie Popcorn auf. Anschließend, so empfiehlt Graber, sollten die Kastanien möglich schnell geschält werden, denn sowohl beim Abschrecken mit Wasser als auch beim langsamen Abkühlen kleben Schale und Samenhaut wieder an den Früchten fest. Will man speziell deren nussiges Aroma genießen, sollten die „Keschde“ vorgekocht und anschließend bei 180 Grad etwa 20 Minuten lang gebacken werden. Die Kastanien kann man pur genießen, als Beilage oder Salatzutat. Klaus Graber empfiehlt die Früchte wärmstens zu Neuem Wein. Kastanien dienen aber auch als Füllung für Huhn, Truthahn, Schwein, Gans und Hase oder werden als Süßigkeit zu Eis, Mousse, Soufflé oder Creme verarbeitet. Kastanien sind sehr gesund, da sie unter anderem Kalium, Magnesium und Folsäure sowie B- und C-Vitamine enthalten. Werden nach dem Sammeln nicht alle Kastanien sofort verwertet, sollten die restlichen Früchte großflächig ausgebreitet und an einem kühlen Ort gelagert werden. Dann kann man sie laut Graber auch einige Wochen lang aufbewahren. Denn häuft man die Kastanien auf einer Stelle an, beispielsweise in einer Schüssel, entwickeln die Früchte Wärme, verlieren Feuchtigkeit und trocknen schließlich aus. Zur Serie Wenn die Tage kürzer werden und die Blätter sich rot-braun verfärben, dann ist die Herbstzeit angebrochen. Die Ernte wird eingefahren, die Tiere richten sich auf die kalte Jahreszeit ein. In unserer Serie wollen wir Lust auf den Herbst machen und geben praktische und kulinarische Tipps.

Damit die Keschde nicht aufplatzen, sollten sie vor dem Rösten kreuzförmig eingeritzt werden.
Damit die Keschde nicht aufplatzen, sollten sie vor dem Rösten kreuzförmig eingeritzt werden.
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