Donnersbergkreis Lebenshunger und Todesangst

Was suchte eine Schar dunkler Gestalten, die am Freitagabend durch den finsteren Schlossgarten pirschte bis zu einem Ort, wo Baugruben, Absperrungen und unfertige Mauern nicht gerade zum Verweilen laden? Sie wollten in fahler Beleuchtung Zeugen einer an dieser Stelle einzigartigen kleinen Theateraufführung werden: Schüler des Nordpfalzgymnasiums, verstärkt durch zwei Mitspieler aus Göllheim und Alzey, hatten sie auf der unteren Ebene des barocken Terrassengartens inszeniert.

Angekündigt war „Lyrik der Barockzeit“, aber die grandiosen Gedichte waren eingebunden in das Geschehen einer kleinen, ergreifenden Liebestragödie, die an „Romeo und Julia“ gemahnte, verfasst von Lars Kwiatkowski unter dem Titel „Junger Liebe Qual“. Wie überhaupt das ganze Projekt von den Akteuren auch selbst einstudiert und realisiert wurde. Angeregt und verantwortlich begleitet war es von Lydia Thorn-Wickert, von der man weiß, dass die Wiederherstellung des Terrassengartens ihr Herzensanliegen ist. Die Idee, ihn durch solches nächtliches Treiben schon einmal zum Leben zu erwecken, muss wie das Spiel der Schülerinnen und Schüler wirklich gelobt werden, was jedenfalls das kleine, sehr bewegte Publikum so empfand und zuletzt durch anhaltenden Beifall kundtat. Wobei der Zusammenhang zu den Kirchheimbolander Friedenstagen, in deren Rahmen die Veranstaltung stattfand, nur locker hergestellt werden konnte, die Verwobenheit von barockem Ambiente und barocker Lyrik samt ständebedingter Tragik bildete aber ein höchst plausibles Ganzes. Die modernen Dialoge kontrastierten reizvoll mit der altertümlichen, aber doch so eindrucksvollen, metaphern- und bilderreichen Sprache der barocken Dichter. Thematisch zeitlos blieb dabei das durch Eifersucht ausgelöste Verhängnis. Auf der halbfertigen unteren Mauer des Terrassengartens stehen wie bleiche Statuen die Figuren des Stücks, als Kulisse dient der im Dunkel erahnte ansteigende verwilderte Garten und als Abschluss oben das Ballhaus mit erleuchteten Fenstern. Eine gespenstische Gestalt in schwarzem Kapuzenumhang (Natalie Miller) – der Tod, das Schicksal, eine weise Kommentatorin der Vorgänge, vergleichbar dem Chor griechischer Tragödien? – rezitiert Andreas Gryphius’ Sonett „Menschliches Elende“: „Was sind wir Menschen doch? Ein Wohnhaus grimmer Schmerzen, ein Ball des falschen Glücks, ein Irrlicht dieser Zeit“. Links ist ein junges Liebespaar zu erkennen, das sich umarmt und küsst, wobei sich Christine (Sophia Rosenbaum) und Mathis (Lars Kwiatkowski) abwechselnd Paul Flemings höchst anregende Anleitung zum Küssen vortragen, beispielsweise „Halb gebissen, halb gehaucht, halb die Lippen eingetaucht. Nicht ohn Unterschied der Zeiten, mehr alleine, denn bei Leuten“. Aber die Mutter (Susanne Schauß) erwischt die beiden Verliebten und tobt: Mathis ist von niedrigem Stand, das Töchterchen längst dem adligen André versprochen. Dieser (Leonie Kwiatkowski) tritt in der nächsten Szene auf und fordert seine Verlobten-Rechte ein. Als ihn das Mädchen zurückweist, wird er unangenehm: „Wenn du so weitermachst, wirst du irgendwann alt, allein und hässlich sein!“ Sie informiert ihn, dass sie aber Mathis habe, worauf André unter Mordgedanken das Haus verlässt. – Christine ist aber doch von ihm auf ihre Vergänglichkeit gestoßen worden: „Das Schlimme ist, dass er recht hat. Jetzt bin ich hübsch und attraktiv, aber was mache ich in 20 oder 30 Jahren?“ Gerade noch der Lebenshunger, das „Carpe Diem“, nun die Angst vor der Vergänglichkeit alles menschlichen Seins – in dieser Zerrissenheit ganz im barocken Lebensgefühl, weshalb Christine auch den Dichter noch viel eindringlicher illustrieren lässt: „Es wird der bleiche Tod mit seiner kalten Hand dir endlich mit der Zeit umb deine Brüste streichen. Der liebliche Corall der Lippen wird verbleichen“. - Da taucht Mathis wieder unterhalb der Mauer auf und verspricht mit der letzten Strophe dieses Gedichts (von Christian Hofmann von Hofmannswaldau) seine ewige Liebe, denn das Herz sei unvergänglich, „dieweil es die Natur aus Diamant gemacht“. Christine lässt sich von der Mauer vertrauensvoll in die Arme des Geliebten fallen und sie wollen gemeinsam fliehen. Doch das Glück darf nicht sein – Eifersuchtsmord Andrés an Mathis, und ein Ende wie bei Shakespeare: Julia/Christine ersticht sich selbst und und sinkt über den Leichnam des toten Freundes. Die Kommentatorin in ihrer schwarzen Kutte reflektiert abermals über die „Vanitas“, die Nichtigkeit alles Menschenwerks und schließt – verbittert oder tröstend? – angesichts dieses erneuten Elends mit einem unter die Haut gehenden Epigramm von Friedrich von Logau: „Weißt du, was in dieser Welt mir am meisten wohlgefällt? Dass die Zeit sich selbst verzehret und die Welt nicht ewig währet.“ Nachdenklich und berührt suchten sich die Zeugen des kleinen nächtlichen Dramas den Rückweg unter den dunklen alten Baumriesen des Schlossparks. Wer wollte, durfte sich noch vom Weingut Boudier und Koeller im Winzerhaus oben im Schlosspark zu einem Umtrunk einladen lassen.

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