Donnersbergkreis „Einlassen auf Unvertrautes ist gefordert“

91-94505360.jpg

KIRCHHEIMBOLANDEN. Am 11. März werden 15 Jugendliche – Schüler vom Weierhof und sechs junge Syrer – in der Kirchheimbolander Stadthalle das barocke Trauerspiel „Agrippina“ aufführen. Die RHEINPFALZ begleitet die Arbeit an dem integrativen Theaterprojekt mit einer Serie. Heute ein Interview mit Regisseur Hansgünther Heyme.

Daniel Casper von Lohenstein ist heute wohl nur noch Spezialisten bekannt. Ihn wieder ins Gedächtnis zurückzuholen, dazu haben auch Sie, Herr Heyme, beigetragen, indem Sie seine Trauerspiele auf die Bühne brachten. Ist es richtig, dass einzig „Agrippina“ noch fehlte?

Ich habe alle Trauerspiele des Casper von Lohenstein inszeniert. Drei Wochen nach dem Schleyer-Mord der RAF hatte „Epicharis“ in Köln Premiere, meine Arbeit in Essen begann mit „Sophonisbe“, einer Produktion der Festspiele in Berlin. Gemeinsam mit dem Nationaltheater in Luxembourg und dem Europäischen Festival der Ruhrfestspiele inszenierte ich „Ibrahim Bassa“ und „Ibrahim Sultan“, an der Folkwang-Hochschule brachte ich „Cleopatra“ heraus. Tausende von Zuschauern haben diese Vorstellungen gesehen. Die „Agrippina“ fehlte... Was macht Lohenstein für Sie so groß, dass Sie ihn einen deutschen Shakespeare nennen? Es ist eben nicht richtig, dass gewichtige deutsche Dramatik erst mit Lessing beginnt. Wenige Jahrzehnte nach den fulminanten Texten eines Shakespeare – im dreißigjährigen blutigen Schlachten – entstanden grandiose deutsche Trauerspiele. Grandiose Texte, welche die Hybris, die Brutalität der Herrschenden, das Morden, das Grauen des Krieges – das Leiden der Menschen – zum Thema haben. Calderon und andere in Spanien, Racine und andere in Frankreich. Und eben Lohenstein im deutschen Sprachraum. Welche Botschaft für uns Heutige sendet er mit „Agrippina“ aus? Keine platte, moralinsaure Friedensbotschaft wird verbreitet. Dialektisches Denken, Fühlen, Einlassen auf Anderes, Unvertrautes, Fremdes, scheinbar Feindliches wird gefordert, eine gänzlich andere Ethik als die der Herrschenden. Im Jahre 2017 brennend aktuell! Der Text ist dicht, verlangt viel Konzentration beim Hören, will eigentlich zuvor gelesen sein. Ist heutiges Publikum dazu bereit? Was gewinnt es aus solcher Sprache? Kunst kann nicht bedienen, darf es nicht. Theater ist nicht nur Sprache, ist auch Schau, ist Spiel. Lesen ist was Tolles. Theater sehen, hören, erleben, spielen ist was Sensationelles. Wenn man sich als Zuschauer auf nicht nur Leicht-Seichtes einzulassen vermag, kann man „Leben“ gewinnen. Zur Inszenierung: Agrippina, die mordende Kaiser-Mutter, die nun selbst Opfer eines Mordkomplotts wird, lassen Sie von einem Jungen spielen. Was steckt dahinter? Im Barock und zuvor spielten Männer die Damen. Und: Wir hatten, neben den syrischen Herren, nur Linus Kulling. Wie langweilig, ihn als Nero zu besetzen. Gegenbesetzungen machen die Sache oft schwieriger, aber meist tiefer und reicher. In die Rolle Neros teilen sich fünf Schülerinnen. Ist das nicht verwirrend? Auch hier geht es nicht um die vielleicht einmalige Darstellungs-Qualität einer einzelnen Begabung, sondern um die Gruppe der Schülerinnen. Jede kommt zum Zuge. Sechs junge Syrer stellen Zarathustra dar. Er war ein mächtiger Weiser aus dem Morgenland. Hebt das die Besetzung über eine schöne Geste der Integration ins Projekt hinaus? Nein. Zarathustra ist, nach Lohenstein, ein hybrider Priester, ein Zauberer zudem. Wir kennen Zarathustra als vorchristlichen Religionsstifter. Noch heute gibt es den Kult des Zoroastrismus im Iran, in Syrien. Lohenstein sah wenig Heil von vorderasiatischen und anderen Glaubensstiftern ausgehen. Trotzdem: Die junge syrische Gruppe bot sich an, gerade diese Rolle zu übernehmen. Was bedeutet Teilhabe am Theater für die Integration von Menschen aus anderen Kulturkreisen? Sehr, sehr viel „kann“ es bedeuten. Wir alle bemühen uns redlich, intensiv. Lange Monate! Und: Es ist eine herbe, eine herrliche „Pflicht“ für einen Kunst-Arbeiter. Sie stellen dem jungen Ensemble eine herausfordernde Aufgabe. Was bedeuten Ihnen diese jungen Menschen, was möchten Sie bei ihnen bewirken? Es ist, es wird eine verschworene Gruppe. Daran arbeiten wir. Ich verliebe mich grundsätzlich in alle, die gemeinsam mit mir der Kunst des Theaters dienen. Diese fünfzehn an der „Agrippina“ Arbeitenden bedeuten mir sehr, sehr viel. Ich hoffe, dass sie gestärkt aus unserem langen Miteinander hervorgehen. |Interview: Barbara Till

x