Donnersbergkreis Bis der Schnee verbrennt

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HARXHEIM. Auf der winzigen Harxheimer Rathaus-Bühne gastierte Anja Kleinhans vom Freinsheimer „Theader“ mit „Jeda, der Schneemann“, einem Einpersonenstück von Mark Wetter und Paul Steinmann. Gezeigt wurde in intimer Atmosphäre ganz große Schauspielkunst – nicht nur für kleine Leute. Der Titel klingt auf Anhieb nach „jeder“.

Vor schwarzer Kulisse kauert ein weißgrauer Klumpen: Jeda, übrig geblieben vom Winter. In sich zusammengefallen, minutenlang völlig regungslos. Spitze Karottennase, auf dem wirren Schopf der obligate schwarze Hut. Die Augen geschlossen, wie scheintot. Irgendwann bewegt der morbide Schneemann – hier viel eher die Schnee-Frau – die Lippen. Einst, in der Winterkälte, war sie hübsch, so richtig rund und standfest. Eine einschmeichelnde Akkordeonmelodie vom Band untermalt die melancholische Szene. Vogelgezwitscher, ein paar Stoffblumen ringsum deuten den Frühling an. Hastig zieht Jeda aus dem Kühlschrank – eines der wenigen Requisiten – eine Flasche Eistee. Er ist ihr Trick gegen das Schmelzen, ihr Lebenselixir, sie ist davon abhängig. Eistee kühlt sie ’runter, ähnlich wie das Windrädchen (alias Ventilator). „Eigentlich ist es viel zu heiß“, sagt Jeda, „aber ich will unbedingt wissen, wie der Sommer ist! Dochdochdochdoch!“ Die anderen Schneeleute nennen das „plemplem“. Aber die sind längst gegangen – geschmolzen, verdunstet irgendwohin in die Wolken am Himmel. Geblieben sind nur die schrumpelnden Nasen, die ihnen die Kinder ins Gesicht steckten. Das „Gürklein“, oder die krumme Peperoni. „Tauen auf den Auen“ – verflixtes Reimen. Vom „Auberginchen“, der liebsten Freundin, die so schöne Musik machte, hütet Jeda sorgsam eine Schüssel Wasser im Kühlschrank – samt der bezeichnenden Gemüsenase. „Warum wolltest du nicht hierbleiben?“, hadert sie verlassen. Halt – jetzt bloß nicht „hitzig“ werden, keine Erregung! Schnell Eistee her, aber der ist rationiert. Das Ende ist abzusehen. Kleinhans spielt mit Herzblut, suggestiv bis in die Fingerspitzen, sehr pantomimisch – buchstäblich „bis der Schnee verbrennt“. Sie spricht mit den Augen. Erzählt von ihren Träumen. Wie sie als Fisch schwamm – und in die Tiefe gezogen wurde. Ein böser Traum. Oder wie sie als schöner, bunter Vogel mit weiten Flügeln davonflog. Für den Sommer, ihre große Sehnsucht, hat sie sich mit Sonnencreme und Eiskrem mit Erdbeergeschmack gerüstet. Sie zieht die Eistüte aus der Bauchtasche des einstmals prall gefüllten Rocks: „Auberginchen, probier doch mal!“ Fischen am Meer, mit einer gewaltigen Angel – das mag Jeda ganz besonders. Fesselnd ist das, sie führt es vor. Zuerst angelt sie ein seltsames Holzstück, und die Kinder wissen natürlich gleich, dass das ein Hammerschwert ist. Danach eine kuschelige blaue Plüschschlange. „Ach, Auberginchen, mach doch noch mal Musik!“, wünscht sie sich. Aber dann wird’s schwer, zu schwer: Eins der Kinder muss bei diesem Fang helfen! Hauruck – ein übergroßes braunes Ei wird an Land gezogen. Was kann nur drin sein? Wieder träumt Jeda in der Nacht - diesmal, dass sich ein Huhn auf das Riesenei setzt so lange, bis es aufplatzt. Aber nichts rührt sich. Das Ei bleibt stumm, scheint strohdumm zu sein. Ein richtiges Landei. Ob da etwa ein Krokodil drin steckt? Oder eine Schildkröte? Eine Eisenbahn? Ein Elefant? Krabkrabkrab – da kratzt doch was! Soll Jeda die Schale mit dem Hammerschwert aufschlagen? Aber das täte dem Wesen dadrinnen vielleicht weh. Ein Eigenversuch – von oben das Holz auf den Kopf – verbietet brachiale Gewalt: In Zeitlupe kostet die Komödiantin das Experiment aus. Nein, das Irgendwas muss selber aus dem Ei brechen! Jetzt cool bleiben, mit dem allerletzten Eistee. Wieder Vogelgezwitscher. Die Eierschale springt, Jeda hebt sie vorsichtig hoch: Auf Sägespänen sitzt wie selbstverständlich und ganz unaufgeregt ein lebendes braunes Huhn. „Herrlich, so ein Sommer“, freut sich die sterbende Schneefrau, und streichelt das Tier. „Ich gehe jetzt zu den anderen. Auberginchen, in welcher Wolke wartest du auf mich? Auf Wiedersehen, Sommer!“ Schließlich dürfen alle Kinder herkommen und der Henne auf Kleinhans’ Schoß vorsichtig über die Federn fahren. Und der Vogel spielt mit und gluckst leise dazu – ein echtes Theaterhuhn. Ende einer wunderbar poetischen Geschichte vom irrsinnigen Wünschen und Abschiednehmen, von Vergänglichkeit und neuem Leben. Warmer Beifall.

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