Kultur Weniger Zuschauer beim Festival des deutschen Films als im Vorjahr

Publikumsfavorit: „Ich war eine glückliche Frau“ mit Imogen Kogge, Rainer Bock und Petra Schmidt-Schaller (von links).
Publikumsfavorit: »Ich war eine glückliche Frau« mit Imogen Kogge, Rainer Bock und Petra Schmidt-Schaller (von links).

Die Jury tat sich schwer: Erstmals wurde der Filmkunstpreis geteilt und an zwei äußerst gegensätzliche Produktionen vergeben. Der Hauptpreis des 13. Festivals des deutschen Films ging an den großen, ernsten Kinofilm „Western“, der mit wenig Worten auskommt, und an die dialogreiche, humorvolle TV-Produktion „Casting“. Das kann als Verbeugung vor dem Festivalkonzept verstanden werden, schließlich werden in Ludwigshafen Kino und Fernsehen gleich behandelt.

Eine Gratwanderung war das Festivalprogramm mit seinen 21 für den Filmkunstpreis nominierten Titeln dennoch auch dieses Jahr: So ganz wollen die immerhin vier bildgewaltigen Kinostoffe der 13. Ausgabe („Luft“, „Western“, „Rückkehr nach Montauk“ und „Helle Nächte“) doch nicht zu „Tatort“-Folgen oder TV-Dramen passen, denen das Feilen am Drehbuch doch anzumerken ist. Wobei auch mit Fernsehbeteiligung Abenteuer möglich sind, wie Felix Charins Debütfilm „Therapie“ zeigte, ein Thriller, der nicht immer aufgeht, aber wagt, hoch aktuell zu sein: Die gerade unter Jugendlichen grassierende Lust, alles per Video festzuhalten, ist ein Kernthema des vom Bayerischen Rundfunk mitfinanzierten Stoffs. Auch „Ich war eine glückliche Frau“, vom Hessischen Rundfunk produziert, am 18. Oktober in der ARD zu sehen, und mit dem Publikumspreis geehrt, überrascht: In der verwunschen wirkenden Verfilmung einer Erzählung von Margriet de Moor lebt eine ältere, todkranke Frau durch das Beobachten des scheinbar perfekten Lebens des jungen Nachbarpaars noch einmal eigene Träume aus – bis das Glück zerbricht. Als „zweiten Sechser im Lotto“ feierte Regisseur Martin Enlen fassungslos die Trophäe – er hatte bereits 2015 mit „Über den Tag hinaus“ den Publikumspreis gewonnen. 2013 wiederum hatte Carolin Genreith mit „Die mit dem Bauch tanzen“, einer Dokumentation über ihre Mutter, den Publikumspreis auf der Parkinsel erhalten. Jetzt gab es eine „besondere Auszeichnung“ für ihre neue Doku „Happy“ über ihren Vater, der mit 60 eine junge Thailänderin heiratet. Der Film bietet wenig neue Erkenntnisse – „die Klischees sind ja auch wahr“, sagt der Vater –, doch überzeugte wohl die erfrischende Fragetechnik der Regisseurin mit Mut zur Peinlichkeit die Jury. Kinokunst aber bietet „Happy“ nicht. Am Hauptpreis für „Western“ von Valeska Grisebach führte im Grund kein Weg vorbei: Der Film über Männlichkeitsrituale und die Frage, wie Europa so ganz konkret funktioniert, wenn einfache Leute zweier so unterschiedlicher Länder wie Deutschland und Bulgarien ohne gemeinsame Sprache aufeinander treffen, fordert zwar viel Konzentration, beeindruckt aber mit seiner Konsequenz und großen Kraft. Grisebach arbeitet zudem sehr präzise mit Laien. Und so ist ihren Hauptdarstellern nicht anzumerken, dass sie keine gestandenen Schauspieler sind. „Casting“ wiederum ist ein vom SWR produzierter, eher leichtgewichtiger Insiderstoff über ein Filmprojekt, bei dem eine sich hart gebende, aber unsichere Regisseurin versucht, die perfekte Besetzung für eine Rolle zu finden. Stars wie Andera Sawatzki dürfen hier ihre Kunst zelebrieren. Interessanter aber wäre vielleicht doch gewesen, Grisebachs Casting beizuwohnen, die laut ihrem Produzenten „600 Bauarbeiter“ für ihr zehn Jahre Arbeit beanspruchendes Projekt „Western“ begutachtete. Ein noch größere Feier der Kinokunst und der Magie, die in einer fein abgestimmten Verzahnung von Bild, Musik und Schauspiel stecken kann, aber ist „Luft“. Das Langfilmdebüt von Anatol Schuster wurde mit einer zweiten „besonderen Auszeichnung“ geehrt. Der in Bensheim aufgewachsene Filmemacher gestand bei der Preisverleihung, vor elf Jahren als Zuschauer das erste Mal auf der Parkinsel gewesen zu sein, als Grisebachs „Sehnsucht“ gewann, es war sein allererster Festivalbesuch überhaupt. Mit „Luft“ nun hat er einen sehr ausgereiften Film über eine nahezu märchenhaft bedingungslose erste Liebe gedreht, in leuchtenden Bildern, die gar nicht weit weg entstanden sind: im saarländischen Bexbach, Neunkirchen, Homburg, Völklingen, im französischen Forbach und Freyming-Merlebach: ein Film, der auch für den Blick über Grenzen wirbt und einen Zauber aufscheinen lässt, der überall wohnen kann. Wenn man nur genau hinschaut.

Die Liebe zu einem Pferd führt in „Western“ zwei scheinbar fremde Welten zusammen: deutsche Bauarbeiter und bulgarische Dörfler.
Die Liebe zu einem Pferd führt in »Western« zwei scheinbar fremde Welten zusammen: deutsche Bauarbeiter und bulgarische Dörfler.
x