Kultur Wassermusik zu „Carmen“

Wasser allenthalben: Don José (Daniel Johansson) ertränkt Carmen (Gaelle Arquez) im Wasser des Bodensees.
Wasser allenthalben: Don José (Daniel Johansson) ertränkt Carmen (Gaelle Arquez) im Wasser des Bodensees.

Das war eine harte Geduldsprobe für die Freunde der Freilichtoper: Bei der „Carmen“-Premiere zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele regnete es quasi zwei Akte konsequent durch. Jede andere Vorstellung hätte die Festspielleitung mit Sicherheit abgebrochen. Doch die Premiere, mit viel Prominenz und auch zahlreichen Journalisten, ist zu wichtig für das Festspielunternehmen. Da hieß es Augen zu und durch – und keine Gnade, weder für die Sänger, noch für die Zuschauer.

Österreichs Bundespräsident Alexander van der Bellen hatte am Morgen die Bregenzer Festspiele bei strahlendem Sonnenschein und gefühlten 35 Grad eröffnet. Am Abend stand beziehungsweise saß er dann zusammen mit dem deutschen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert im Regen. Wie die anderen Premierenbesucher auch. Keine Extrawurst also für die Politprominenz. Vielleicht fühlte er sich ja auch viel mehr in der Kulisse von Benjamin Brittens „Peter Grimes“ oder Wagners „Holländer“. Zwei Opern, in denen heftige Unwetter in den Regieanweisungen stehen. Bei „Carmen“ ist das ja eher nicht so. Sevilla unter südlicher Sonne ist aber an diesem Abend doch nur eine ferne Ahnung. Irgendwann, so nach spätestens 50, 60 Minuten, muss man auf seinem glücklicherweise noch kurzfristig erworbenen Einweg-Regencape für einen geregelten Abfluss sorgen. Kanalarbeiten in Klarsichtfolie sozusagen. Dabei läuft dann das Wasser in die Schuhe, aber Freilichtoper ist eben kein Kindergeburtstag. Eigentlich hätte man auch aus einer gewissen Fürsorgepflicht gegenüber den Sängern, die ja ohne Regenschutz agieren mussten, die Vorstellung gar nicht beginnen dürfen oder sie aber nach 45 Minuten, wenn keine Eintrittsgelder mehr zurückerstattet werden müssen, abbrechen müssen. So aber wurde der lange Atem belohnt. Irgendwann endete der Regen, und selbst vereinzelte Sterne zeigten sich am Himmel über dem Bodensee. Das Spektakel war sprichwörtlich in trockenen Tüchern, und zu Beginn des Schlussakts konnte dann auch das geplante Feuerwerk hinter der Bühne gezündet werden, während vorne die Stierkämpfer mit Escamillo einen triumphalen Einzug in die Arena feierten. Für Anhänger der kammerspielartigen Personenführung ist die riesige Seebühne natürlich nichts. 7000 Menschen wollen bei fast 30 Vorstellungen vor allem Unterhaltung. Die große Show, mit Stunteinlagen und einer Carmen, die sich Ende des ersten Aktes mit einem beherzten Sprung in den See ihren Verfolgern entzieht. Oper auf der Bregenzer Seebühne ist immer auch Oper im Hollywoodformat – das Bühnenbild von Puccinis „Tosca“ diente schließlich auch schon als Kulisse für einen James-Bond-Film. In diesem Jahr ist Es Devlin für die beeindruckende Bühne verantwortlich: Zwei riesige Unterarme werfen ein Kartenspiel in die Luft. Einige Karten fliegen noch, müssen also von gewaltigen Stahlkonstruktionen gehalten werden, andere liegen schon auf dem Boden und dienen als Spielfläche, einige wenige sind im Wasser platziert. Auf der Suche nach dem Model für die Hände ist die Bühnenbildnerin bei sich selbst fündig geworden. 20 Tonnen wiegen die 18 und 21 Meter hohen Arme. 15 Tonnen Gegengewicht – auf dem Boden des Sees fest verankert – verhindern, dass Sturm und Wetter dem Bühnenbild etwas antun können, immerhin bleiben die Aufbauten nun zwei Jahre stehen. Mit 30 Quadratmetern haben die Karten, die auch als Projektionsfläche für Videos dienen, die Größe einer luxuriösen Studentenbude. Insgesamt 62 Karten wurden gebaut, jede einzelne davon mit einem Gewicht von 2,5 Tonnen. Zu Beginn der Oper sehen wir Carmen als junges Mädchen, die in den Karten liest und ihren Tod prophezeit bekommt. Alles in ihrem Leben ist vorbestimmt, alles ist Schicksal, unausweichlich. Und alles läuft auf ihren Tod hinaus, der ihr dann im dritten Akt nochmals und in einem blutrot eingefärbten Bühnenbild vorhergesagt wird. Regisseur Kaspar Holten, dessen Sohn Johan einst den Heidelberger Kunstverein leitete und heute Chef der Kunsthalle Baden-Baden ist, konzentriert sich auf das typische Dreigestirn der Oper: Tenor liebt Sopran und Bariton hat etwas dagegen. Carmen steht dabei für die Herz-Dame, Don José für den Kreuz-Buben, Escamillo für die Pik-Ass. Zwischen diesen drei Karten entscheidet sich alles, vor allem das Schicksal Carmens. Sie akzeptiert dieses, nimmt es mit Stolz und Würde an, verteidigt zugleich ihre Unabhängigkeit gegenüber den Männern. Sie wählt die Freiheit – zum Tode. Der ist hier wie ein Filmtod inszeniert. Ein finaler Kampf der Geschlechter, Carmen und Don José im Wasser des Bodensees watend, stampfend. Bis er sie in einem nicht enden wollenden Gewaltakt brutal unter Wasser drückt. Gaelle Arquez ist als Carmen eine Meisterin der Verausgabung. Sie geht bis an ihre körperlichen Grenzen – und darüber hinaus. Sie ist ebenso wild-verführerisch wie aufbrausend-aggressiv, ist femme fatale und glutvoll Liebende. Und sie gestaltet diese Partie auch sängerisch ganz großartig, mit unglaublich vielen Farben in der Stimme, die man trotz der Mikrofonverstärkung und der Übertragung durch 58 Lautsprecherboxen, die im Bühnenbild verbaut sind, wahrnehmen kann. Das ist bei den beiden Männerstimmen etwas anders. Daniel Johansson (Don José) und Scott Hendricks (Escamillo) verrutscht bisweilen leicht die Stimme, was aber angesichts der widrigen Umstände durchaus verzeihlich ist. Sehr schön lyrisch gefärbt dagegen der Sopran von Elena Tsallagova als Micaela. Den besten Platz an diesem Abend hatten sicherlich die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Paolo Carignani. Sie spielen ja bekanntermaßen im Festspielhaus, damit im Trockenen. Der Klang wird mit der außergewöhnlichen Anlage nach draußen übertragen und bildet dort den manchmal mitreißenden, manchmal aber auch bedrohlich-düsteren Sound zum Thriller mit tödlichem Ausgang auf der Bühne. Termine Weitere Vorstellungen am 22., 23., 25., 26., 27., 28., 29., 30. Juli und am 1., 2., 3., 4., 5., 6., 8., 9., 10., 11., 12., 13., 15., 16., 17., 18., 19., 20. August.

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