Kultur Was den Mensch zum Menschen macht

Tom Schilling spielt im neuen deutschen Oscarbeitrag „Werk ohne Autor“ den Maler Kurt Barnert: Regisseur Florian Henckel von Don
Tom Schilling spielt im neuen deutschen Oscarbeitrag »Werk ohne Autor« den Maler Kurt Barnert: Regisseur Florian Henckel von Donnersmarcks teils überdeutlich wirkende Künstlerbiografie ist vom Leben des Malerstars Gerhard Richter inspiriert.

Die Oscar-Kandidatur von deutscher Seite hat er schon, gut möglich, dass er am Samstag auch einen der wichtigen Preise beim 75. Internationalen Filmfestival Venedig holt: Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck hat gestern seinen neuen, erst dritten Spielfilm „Werk ohne Autor“ vorgestellt.

Der vor elf Jahren für das Stasi-Drama „Das Leben der Anderen“ mit dem Auslands-Oscar ausgezeichnete deutsche Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck schaut nach seinem glücklosen Ausflug ins Genre des Thrillers, 2010 mit „The Tourist“, wieder auf die deutsche Historie des 20. Jahrhunderts. Dieses Mal hat ihn die Lebensgeschichte des deutschen Malerstars Gerhard Richter inspiriert. Wie schon bei „Das Leben der Anderen“ setzt er bei seinem Film auf klassisches Erzählkino, also auf eine spannende, mit vielen Emotionen aufgeladene Geschichte, auf die Reflexion von Historie in persönlichen Lebenswegen und auf großartiges Schauspiel. Die Geschichte dreht sich um Kurt Barnert (als Erwachsener gespielt von Tom Schilling). Mitte der 1930er Jahre, als kleiner Junge, muss er erleben, dass seine geliebte Tante Elisabeth (Saskia Rosendahl) wegen einer seelischen Störung gewaltsam in eine Klinik verschleppt wird. Auf Geheiß des Arztes Carl Seeband (Sebastian Koch), einem fanatischen Nazi, wird sie deportiert und in einer Gaskammer ermordet. Als Kurt, der schon seit Kindertagen Maler werden möchte, nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Dresden Kunst studiert, verliebt er sich – ausgerechnet in Seebands Tochter Ellie (Paula Beer), nichts von Seebands Verstrickungen in das mörderische System der Jahre 1933 bis 1945 wissend. Im Leben und in seinem Versuch, ein ernsthafter Künstler zu werden, wird Kurt von einem Satz angetrieben, den ihm seine Tante einmal gesagt hat: „Nicht wegsehen Kurt, alles, was wahr ist, ist schön.“ Dieser Satz zieht sich als Leitmotiv durch den gesamten Film. Man darf ihn als Aufforderung an das Publikum verstehen, nicht wegzusehen, wenn heutzutage Unrecht geschieht, wenn menschenverachtendes Denken und Handeln die Demokratie bedrängen. Florian Henckel von Donnersmarck weist deutlich darauf hin. Deutlichkeit ist ohnehin sein Markenzeichen. Die gelegentlich durchaus holzschnittartig anmutende Geschichte wird durchweg mit Sinn für Wirkung präsentiert. Dabei gelingt es effektvoll, die Liebesgeschichte von Ellie und Kurt, das Sich-Durchschlängeln des Arztes Seeband in der Nazizeit, in der DDR und schließlich im Westen Deutschlands mit einer klugen Spiegelung von Zeitgeschichte und – da leistet sich der Film denn auch erfrischend komische Momente – mit den Entwicklungen der bildendenden Kunst in beiden deutschen Staaten der 1950er und 60er Jahre zu verbinden. Wobei das Ringen des Künstlers um seine Position nie denunziert wird, sondern so gestaltet ist, dass man auch als unbedarfter Kinobesucher daran Anteil nehmen kann. Dabei spielt es für die Zuschauer keine Rolle, dass wesentliche Teile der Erzählung von Tatsachen aus dem Leben des jetzt 86-jährigen Malers Gerhard Richter angeregt worden sind. Henckel von Donnersmarck hat seinen Protagonisten ja bewusst anders genannt, hat auch weiteren bekannten Persönlichkeiten, etwa der Künstlerlegende Joseph Beuys, fiktive Namen gegeben. Wesentlich für die mitreißende Kraft des Films sind die Akteure, allen voran Paula Beer, Sebastian Koch und Tom Schilling. Oft lässt ihnen das Drehbuch lediglich kurze Momente zur Skizzierung von Personen und Situationen. Doch mit punktgenauem Spiel, das vor allem auf die Spiegelung innerer Zustände in der Mimik setzt, gelingen ihnen letztlich packende Charakterporträts. Wobei nicht unerwähnt bleiben darf, dass sie in einem exzellenten Ensemble agieren. Selbst kleinste Rollen sind großartig besetzt, etwa mit Ina Weisse, Jeanette Hain, Ben Becker und Lars Eidinger. Sicher: Florian Henckel von Donnersmarck ist kein Mann subtilen Erzählens, kein Vertreter kunstvoller Originalität. Er ist ein Plauderer, ein Mann massenwirksamen Kintopps. Wobei er bei aller Lust am Fabulieren nie den Anspruch einer kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Entwicklungen aus den Augen verliert. Er bietet große Unterhaltung. Aber die hat Substanz und transportiert jede Menge kluger Gedanken. Im Wettbewerb der Mostra d’Arte Cinematografica macht er damit eine ausgesprochen gute Figur. Interessanterweise trifft der deutsche Wettbewerbsbeitrag in der internationalen Konkurrenz auf eine zweite Künstlerbiografie, auf „Am Tor zur Ewigkeit“ des US-amerikanischen Regisseurs Julian Schnabel („Basquiat“, „Before Night Falls“). Hier geht es um Vincent Van Gogh (1853 – 1890). Dabei ist das Biografische nicht das Wesentliche. Bei aller Bebilderung äußerer Lebensumstände des Malers zwischen Wachen und Wahn, erkundet der Film in erster Linie einen Satz des Künstlers: „Ich bin meine Bilder.“ Vincent-Darsteller Willem Dafoe darf leise sein, verinnerlicht, behutsam. Das bekommt dem Porträt des Mannes und seiner Zeit sehr gut. Der Film über das Schicksal des Verkannten weitet sich vor allem Dank seiner Darstellung zu einer packenden Studie über die Schwierigkeiten, die so genannte Außenseiter generell in der bürgerlichen Gemeinschaft haben. Also kommt auch Schnabel direkt im Hier und Heute an. Wobei er, anders als Henckel von Donnersmarck, visuell experimentiert, die Welt in verfremdeten Bildern so zeigt, wie Van Gogh sie möglicherweise wahrgenommen hat. Sehr reizvoll auch dies. Dominiert wird der Wettbewerb auch darüber hinaus weiter von Filmen, die in die Vergangenheit schauen. Besonders viel Beifall bekam, völlig zu Recht, der Western „The Sisters Brothers“ (Die Gebrüder Sisters) des französischen Regisseurs Jacques Audiard („Ein Prophet“). Die Hollywood-Stars John C. Reilly, Joaquin Phoenix und Jake Gyllenhaal sowie der Engländer Riz Ahmed durcheilen hier eine oft sehr witzige, aber letztlich tragische Geschichte um die Frage, was den Mensch zum Menschen macht. Auch hier: Große Unterhaltung mit Anspruch. Audiard gelingt das Kunststück, eine handfeste Ballermann-Ballade zum philosophischen Exkurs zu weiten. Die Jury hat schon jetzt eine große Auswahl für den Goldenen Löwen. Und es stehen bis Samstag noch einige Wettbewerbsbeiträge aus.

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