Kultur Verdränger gegen Verdrängung

Seit Freitag haben Aktivisten die Berliner Volksbühne besetzt, die Leitung des Hauses will das nun nicht länger hinnehmen. „Wir fordern, dass die Politik jetzt dringend ihrer Verantwortung nachkommt und handelt“, erklärten Intendant Chris Dercon und Programmdirektorin Marietta Piekenbrock gestern Nachmittag. Bei der Berliner Kulturverwaltung hatte es zuvor geheißen, eine Räumung sei nicht angedacht.

Was ist das hier? Theater? Politik? Oder einfach nur die Selbstermächtigung einer kleinen Kulturguerilla, die ihre Kunst und ihre Anliegen legitimer findet als die anderer? Im Foyer der Berliner Volksbühne steht am Freitag Abend ein Mann im pinkfarbenen Minirock am Mikro und verkündet, in den nächsten 60 Stunden werde es hier „den besten Club“ geben, den die Stadt je gesehen hat. Der Jubel der etwa 100 meist jungen Zuhörer auf dem Boden jedenfalls ist recht ordentlich. Da ist es gerade eine Stunde her, dass ein Kollektiv mit dem Namen „Staub zu Glitzer“ das Theater besetzt hat. An der Fassade hängt eine blaue Stoffbahn mit dem Schriftzug „Doch Kunst“, die Türen sind mit Fahrradschlössern gesichert, man will länger bleiben – mit Selbstverwaltung, Bühnenprogramm, Debatten. Die Themen dürfen den Verlautbarungen zufolge nicht ausgehen: Protestiert wird gegen Clubsterben, Gentrifizierung und Flüchtlingspolitik, Standortmarketing, Privatisierung und Karrierezwang. Für so viel Unrecht kann nicht einmal ein Multitasker wie der neue Intendant Dercon verantwortlich sein. Seit Monaten kennt die Szene kein anderes Thema als den giftigen Streit um den Belgier und den Vorwurf, er mache die Volksbühne zur Eventbude. Nun ist der Berliner Theaterstreit eskaliert, die Besetzer machen die Debatte, den Mann und etliche Künstlerkollegen zum Symbol und das öffentliche Theater zur Kulisse, um einer Frage Aufmerksamkeit zu verschaffen: „In was für einer Stadt wollen wir leben?“ Die Szene der Besetzer weist Schnittmengen zu der Gruppe derer auf, die schon vor ein paar Monaten die Humboldt-Universität besetzt haben – damals ging es vordergründig auch um eine Personalie, die des Staatssekretärs Gentrifzierungskritikers Andrej Holm. Die Volksbühne sei ein Symbol für die Stadtentwicklung als Ganzes, verkündet eine Sprecherin. Sie proklamiert unter Jubel das Theater „zum Eigentum aller Menschen“ zum „Anti-Gentrifizierungszentrum“. Monatelang hätten vier Dutzend Leute dafür im Verborgenen gearbeitet. „Make Berlin geil again“, steht auf einem Transparent. Die Sprecherin beschwört das Berlin der 90er Jahre als Sehnsuchtsort, dessen Freiräume nicht verteidigt, sondern Investoren als Beute dargeboten worden seien. Berlin stehe nun der Weg anderer Metropolen bevor – mit Verdrängung, Ausgrenzung, Zerschlagung jeglicher Gemeinschaft. Das will man verhindern. Zur Not auch mit Verbannung: Für Dercon haben die Besetzer sich die Lösung ausgedacht, dass er in Tempelhof bleiben und spielen soll, dort wo er vor zwei Wochen die Spielzeit mit einem viel kritisierten Tanzevent für alle eröffnet hatte. Von der Volksbühne soll er die Finger lassen. Was macht man in so einer Situation, wenn man Kultursenator der Linkspartei ist, gleichzeitig Dienstherr von Dercon, einer seiner Kritiker, Hausherr eines öffentlichen Theaters und stellvertretender Bürgermeister? Klaus Lederer bemüht fürs Erste Rosa Luxemburg mit einem Zitat, das man in jede Richtung verstehen kann: „Kunstfreiheit ist immer auch die Kunstfreiheit der Andersperformenden!“, überschreibt er eine Erklärung, die sich bewegt zwischen Verständnis für die politischen Ziele der Besetzer und einer Abgrenzung: „Die These, eine kulturpolitische Personalentscheidung vernichte Freiräume ist absurd. Wer entscheidet denn und wer darf darüber entscheiden, was die „richtige“ Kunst am Ort ist?“ Eine Stellungnahme zur Forderung Dercons gab es bis gestern Nachmittag nicht.

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