Kultur Spiel des Lebens

Mit „Lebenskünstler“ hat der 1972 geborene mexikanische Tenor Rolando Villazón bereits seinen zweiten Roman geschrieben. Ein Buch, das genau so ist, wie man den stets leicht überaktiv und hibbelig wirkenden Sänger auch von der Bühne oder aus Fernsehshows kennt: witzig, charmant, fantasiereich. Aber vielleicht auch von allem etwas zu viel.

Als Rolando Villazón 2006 zusammen mit Anna Netrebko in Verdis „La Traviata“ auf der Bühne des Salzburger Festspielhauses stand, war seine Sängerkarriere auf dem absoluten Höhepunkt. Nichts schien diese außergewöhnliche Stimme bremsen zu können. Dann kam die Erkrankung, und es begann ein zum Teil schmerzhaft zu beobachtender stimmlicher Abstieg. Vorläufiger Tiefpunkt: Das Festspielhaus in Baden-Baden verkündet sein Mitwirken in einer „Zauberflöte“ in der nächsten Saison. Aber eben nicht als Tamino, auch nicht in der Tenorpartie des Monostatos. Nein, Villazón wird die Baritonrolle des Papageno übernehmen. Villazón tut also gut daran, nicht mehr alles auf die Tenorkarte zu setzen. Er ist quasi ständiger Gast in deutschen TV-Shows, die im weitesten Sinne etwas mit Klassik zu tun haben, und er inszeniert recht erfolgreich an deutschen Opernhäusern. Und seit 2014, als sein erster Roman „Kunststücke“ erschien, versucht sich Villazón auch als Romanautor. Und zwar auf beachtlichem Niveau, wie jetzt auch sein jüngstes Buch „Lebenskünstler“ beweist. Natürlich denkt man sofort an Puccinis Oper „La Bohème“, mit der jenen Lebenskünstlern, die man in Paris als Bohemiens bezeichnete, ein musikalisches Denkmal gesetzt wurde. Künstlern, die in den Tag hinein und von der Hand in den Mund leben. Musiker, Dichter, Maler, Philosophen, deren Kunst vor allem in ihrer Kunst zu (über)leben besteht, die sich jedem Leistungsdruck entziehen und immer auf der Suche nach der einen, großen Liebe sind. Wir wissen dann ja aber, wie es endet mit Mimi. Die Schwindsucht rafft sie dahin ... Das zumindest bleibt den Protagonisten Villazóns erspart. Der Tod ist zwar allgegenwärtig, aber er verliert in diesem Spiel des Lebens, das die Lebenskünstler in einer Großstadt spielen. Bei Puccini beziehungsweise Henri Murger, der die Vorlage schrieb, spielte das Geschehen in einer Pariser Mansardenwohnung. Bei Villazón ist es die „Cava de los Espejos“, die wir uns durchaus in Mexiko-Stadt vorstellen dürfen, der Heimatstadt des Autors. Palindromus ist der Held dieser manchmal witzigen, manchmal überdrehten, immer sehr bildmächtig geschilderten Abenteuer. Er hat einen Freundeskreis an Sonderlingen und Außenseitern um sich herum versammelt. Palindromus, der, wie sein Name verrät, immer auf der Suche nach Sätzen ist, die man rückwärts wie vorwärts lesen kann, ist ein Spielerfinder. Aber nicht etwa, um damit Geld zu verdienen. Das Spielen ist ihm reiner Selbstzweck. Eine Karriere als Liedermacher blieb ihm ebenso versagt wie eine als Schriftsteller. Das Ende eines Romans hat er in einem Flugzeug vergessen, wo es ein anderer Autor gefunden und in seinen Erfolgsroman eingebaut hat. Ein typischer Verlierer also? Vielleicht. Jedenfalls jemand, der sich vom Leistungsdenken um ihn herum nicht anstecken lässt. Jemand, der keine Ameise sein will und dessen Herz überläuft angesichts der wunderschönen, stummen und geheimnisvollen Golondrina. Doch aus dem Spiel wird irgendwann tödlicher Ernst. Und das Buch kippt nicht nur ins Unglaubwürdige, sondern ins Naiv-Kitschige. Ein Würger treibt sein Unwesen. Golondrina fällt ihm fast zum Opfer, ehe ihn Mo, der Liliputaner und Palindromus’ größter Held, zur Strecke bringt. Alles wird gut, zu gut, weshalb wir nicht ganz sicher sein können, dass nicht auch der Autor ein Spiel mit uns getrieben hat. Zuzutrauen wäre es ihm. Lesezeichen Rolando Villazón: „Lebenskünstler“, aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen; Rowohlt; 381 Seiten; 19,95 Euro.

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