Kultur „Rheinland-Pfalz ist doch meine Heimat, da komm ich her“

Das Geräusch der klappernden Nähmaschine seiner Mutter hat seine Kindheit geprägt, erzählt Mario Adorf im Film. Warmherzig aber
Das Geräusch der klappernden Nähmaschine seiner Mutter hat seine Kindheit geprägt, erzählt Mario Adorf im Film. Warmherzig aber sei die Näherin nicht gerade gewesen, sie habe auch mal eine Schere nach ihm geworfen.

„Ich habe Glück gehabt“, sagt Mario Adorf über sein Leben. Der mittlerweile 88-Jährige ist auf der Berlinale nicht als Schauspieler zu Gast: In der Reihe Special läuft die so vergnügliche wie kurzweilige Dokumentation „Es hätte schlimmer kommen können“, die seiner Biografie gewidmet ist – und den Mimen als großen Geschichtenerzähler weitgehend selbst zu Wort kommen lässt. Ob dabei alles genau stimmt, woran sich Adorf erinnert, ist zweitrangig.

Etwas schwerhörig ist er geworden, doch die Schritte sind noch kräftig, und die Augen blitzen: Mario Adorf ist mit 88 noch fit („nein, Sport mache ich nicht“), zeigt sich bei seinen Presseterminen in Berlin. Regisseur Dominik Wessely und Produzent Herbert Schwering, der die Idee zum Film hatte, haben ihm eine Filmbiografie geschenkt, die ganz von den wunderbaren Anekdoten lebt, die Adorf im verschmitzten Plauderton vorträgt. Doch „Es hätte schlimmer kommen können“ (Kinostart im Herbst) führt auch vor Augen, wie stark der in Zürich geborene und in der Eifel aufgewachsene Schauspieler das Nachkriegskino beeinflusst hat. Vor allem aber geht es um Adorf als Menschen. Und dieser ist geprägt von seiner Herkunft: Nachdem der Vater, ein Italiener, verschwand, war die Mutter in das Heimatstädtchen ihrer Vorfahren gezogen – nach Mayen. Hier schlug sie sich als Näherin durch, gab das Kind zunächst in ein Heim. Adorf sagt, er habe ihr das nicht übel genommen, während er vor der Kamera die alte Nähmaschine der Mutter zum Laufen bringt, sich fast kindlich stolz freut, wieder das Geräusch der Kindheit zu hören. Aber er erzählt auch, wie die Mutter einmal eine Schere nach ihm warf, weil er nicht folgsam genug war. Umarmungen gab es auch selten, „sie war sehr zurückhaltend“. Und es herrschte Krieg, Mayen wurde schwer bombardiert, veranschaulichen Archivaufnahmen, während Adorf durch die alten Luftschutzbunker geht. Kein Grund zu jammern aber, meint Adorf auch im Gespräch mit der Presse jetzt in Berlin: „Ich habe das Leben immer so angenommen, wie es sich darbot.“ Seine nächste Station: Mainz, vier Semester Studium, Jobben im Bimsabbau, Studententheater. Mayen und Mainz sieht er nach wie vor als prägend an, obwohl er viel länger in Rom, St. Tropez und München lebte. „Rheinland-Pfalz ist doch meine Heimat, da komm ich her.“ Vor allem der Dialekt bedeutet ihm viel: „Ich habe ihn immer hochgehalten, die Bindung zur Heimat ist die Bindung zur Sprache. In Deutschland sind ja leider viele Dialekte sehr vernachlässigt worden.“ Und so singt er im Film denn auch bei der Fahrt durch gelb strahlende Rapsfelder vom „Mayener Jung“. Sentimental ist er aber nicht: „An dem Lied hat mich immer gestört, dass man die Musik von einem Südtiroler Marsch geklaut hat, das passt doch nicht.“ Auch die Pfalz hat ihn Adorfs Leben indirekt eine große Rolle gespielt: Es war der aus Zweibrücken stammende Regisseur Peter Fleischmann, der einst Volker Schlöndorff überredet hatte, Adorf in „Die Verlorene Ehre der Katharina Blum“ zu besetzen, sagt Adorf im Film. Da hatte der Schauspieler zwar schon mit Größen wie Robert Siodmak gearbeitet und war Star des italienischen Actionkinos gewesen, ganz zu schweigen von Winnetou. Doch er galt als Vertreter von „Opas Kino“, das der Neue Deutsche Film bekämpfen wollte, wie Margarethe von Trotta im Film zu Adorf sagt. Schlöndorff war offenbar angetan und besetzte ihn auch in „Die Blechtrommel“. Die Doku verschweigt hier allerdings, dass zuvor schon zwei andere Vertreter des Neuen Deutschen Films Adorf in ihre Filme eingebunden hatten: Roland Klick, den Adorf im Gespräch stets als wichtigen Förderer nennt, und der Hunsrücker Edgar Reitz in „Die Reise nach Wien“ (1973). „Es hätte schlimmer kommen können“ aber erhebt auch gar keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Viel Zeit verbringt der Film mit Adorfs Bühnenstart in München, illustriert mit alten Aufnahmen von Proben unter den Größen August Everding und Fritz Kortner. Später reist Adorf mit dem Filmteam nach Rom, zeigt die alte Wohnung, in der er über 30 Jahre lebte. „Eine schöne leichte Zeit, so etwas gibt es heute nicht mehr.“ Oder er erinnert sich in München mit der alten Freundin Senta Berger an die gemeinsame Zeit in den USA, inklusive zweier MeToo-Geschichten, über die Berger aber lächeln kann. Und schließlich geht es nach Frankfurt, wo Adorf mit Marek Lieberberg seine neue, letzte Bühnenreise vorbereitet hat. „Zugabe“ heißt sie und führt im Mai unter anderem nach Frankfurt, Baden-Baden und Stuttgart. „Es ist die letzte Zugabe vor Publikum auf der Bühne, aber kein Abschied von Film und Fernsehen“, beteuert der 88-Jährige in Berlin.

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