Kultur Rapper Dendemann in Heidelberg: Legende, Mann

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Hände hoch! Sicher! Dendemann und Fans in Heidelberg.

Und jetzt mal etwas ganz Anderes, HipHop-Musik, Sprech-Gesang, Heidelberg, Halle02, Montagabend. Ausverkauft ist schon lang. Auf tritt Dendemann, der Reim-Chef aus dem Fernsehen, gebürtig: Ruhrgebiet, dem „größten Spa der Welt“, wie er es nennt. Früher trug er Vokuhila, jetzt blond. Jahrgang 1974. Der ultimative Dende-Meister für eine Ü-40-Party. Mit Bombast-Wohnzimmer-Rap, krass laut. So war das mit Dendemann am Neckar. Heftig. Großformat. Eine Reanimation.

Liebe Leute, Opernfreunde, HipHop, Rap, früher als CNN für Schwarze gesehen, ist längst Haupt-Kulturprogramm. Kendrik Lamar hat 2018 den Pulitzerpreis bekommen. Childish Gambino ist sowas wie der Grammy-Gewinner der Saison. Sein Gangster-Gebelle stand über den Offenbacher Haftbefehl im „Zeit-Feuilleton“, sei besser als alles an Literatur seiner Generation. Würde das stimmen, wäre Dendemann Hugo Ball, Thomas Mann und Günter Grass in einer Person. Es gibt ja mehrere Arten, mit Schnellsprech Musik zu machen. Sehr oft kommt dabei leider dumpfes, hallendes Fitnessstudio-Zeugs heraus. Oder einsilbiger Protz-HipHop wie von Bushido, Haftbefehl eben, oder Hitlisten-Boss Capital Bra. Dendemann dagegen, in Menden, Sauerland, aufgewachsen, groß geworden in Hamburg, jetzt meist wohnhaft in Kreuzberg, Berlin, hat seine ganz eigene Version.

Stimmlage: aufgerauter Reibeisenton

In Heidelberg, wo Konzertbesucher in Physiker-Karohemden kurz vor sieben noch zehn Minuten notwendige Parktickets für ihren Audi A4 ziehen wollen, wird einem am Eingang ein Stempel aufgedrückt. Auf dem steht: „Eins / Zwo. Capitol Mannheim, Mi. 24.11. 1999“. Mindestens so lange ist der als Daniel Ebel geborene Ruhrgebietssohn Dendemann schon eine Nummer. Als Wortakrobat unter den deutschen Rappern, vielsilbiger Reim-Meisterdetektiv, die Stimmlage aufgerauter Reibeisenton. Als anti-spießiger Kleinstadtjugendretter und Wortwitz-Robin-Hood ist er verstrickt im Kampf gegen die biedermeierliche Welt. Fünf Alben sind von ihm herausgekommen, zwei davon mit dem Duo Eins Zwo, an das der Heidelberger Stempel erinnert. „Vom Vintage verweht“ hieß das zweitjüngste Dendemann-Produkt. Seither sind fast neun Jahre vergangen, bis vor kurzem „Da nich für“ auf der Matte erschien. Ein vorauseilender Titel. Und zu Recht gewählt. Das Album stellt auch eine Art Quintessenz seines zwischenzeitlichen Fernsehlebens als Musik-Sidekick von Jan Böhmermann in „Neo Magazin Royale“ auf die Beine. Denn offensichtlich hat ihn der Polit-Provokateur politisiert.

„Wenn die Demokratie ihren Segen verflucht“

Dendemann war schon immer berühmt für seine popkulturellen Referenzen, die Aufladung der Sprichwörtlichkeit mit neuem Sinn, seinen Humor, den Reimdrang und seinen unbedingten Entkrampfungswillen. Für die Melodien zum und aus Trotz. Dass er Gedichtzeilen von zum Beispiel Robert Gernhardt verwurstet, von seiner Mutter, wie man weiß, für ihn aus der Zeitung geschnitten. Verse wie „Dichter Dorlamm lässt nur äußerst selten / andere Meinungen als seine gelten“, in einem Lied, das „Hörma“ heißt. Jetzt aber sprechsingt Dendemann plötzlich, statt sich selbst und das Drumherum gut gelaunt zu bezweifeln, über ungute „Parolen“. Davon, dass „dagegen wohl nicht mehr dagegen genug“ ist, „wenn die Demokratie ihren Segen verflucht.“ „Immer schön einen Steinwurf vom Glashaus entfernt“ reimt er gegen AfD, Rassismus, die Gerätehörigkeit und die eigene, larmoyante Müdigkeit an. „Mama mia, ich würde echt lieber chillen, aber Papa Staat hat die rechten Bazillen“, heißt es in „Zeitumstellung“ dann.

„Ich dende also bin ich“

In Heidelberg haut er das zeitkritische Teil schon am Anfang in einem Block aus neuen Liedern raus, umföhnt von seiner tempoakrobatisch sich verrenkenden Band, die sich „Freie Radikale“ nennt. Aber Hallo, das ist Rap, der einen rockt wie von einer Metal-Stadionband gespielt. „Wo ich wech bin“ also erschallt, ein Heimatlied über ein Terrain, in der „dir 30 Vogelarten ins Cabrio scheißen“. Dann „Ich dende also bin ich“, „Keine Parolen“, „Zeitumstellung“ schließlich, in dem es darum geht, „endlich wieder den Schweinehund auszuführen“. Das klingt so gut, absolut unlangweilig und abseits des gängigen Formats – alles. Wie von weit her. Zeitlos trotzdem. Selbst wenn den altvorderen Puristen digital verzerrte Tonhöhen umhallen. Und sofort herrscht kurze Schockstarre im Publikum. Als scheinen alle sich zu fragen: Was ist denn hier los? Der „alte“ Mann ist hör- und sichtbar in Best-Form.

Jungenhaft trotz leiser Verwitterung

Schirmmütze Vintage, blaues Langarm-Trikot unterm Tweed-Sacco, Cargohose, Stiefel, am Schaft mehrreihig von gelben Senkeln umschnürt. Dendemann, jungenhaft trotz leiser Verwitterung, mehr trippelt er, als dass er tanzt. Er wischt sich das Gesicht, wenn DJ und Drummer Einlagen geben. Feixend begrüßt er die 1970er-Jahrgänge. „Ich bin zu alt für den Scheiß“, singt er. Aber das stimmt nicht. „Kaum ein Leistungsträger ist leistungsträger“, von wegen. Dendemann tackert in jedem Höllentempo jede Silbe haarscharf ins Mikro. Der Typ mit Rasta-Locken in Reihe eins geht bei jedem Lied aufs Neue textsicher ab. „Hände hoch“, das braucht Dendemann nicht erst zu sagen. Sowieso hält er sich kaum mit Ansprachen auf.

Dendemann streut Klassiker ein

Er streut Klassiker ein, was bei jemand von seinem Kaliber, unmittelbar zum rekordverdächtigen Selbstläufer gerät. Als die Musik bei „Stumpf ist Trumpf“ höllisch tost, beginnen die ersten damit, raufend zu tanzen. Ein mittelalter Herr in Rapper-Verkleidung lotst seinen schulpflichtigen Sohn vorsichtshalber in die hinteren Reihen. Bei „Danke, gut“ droht Halle02 zu implodieren. Band, Dendemann und das Publikum, ein Beat. „Hörnichtauf“ rastspricht er. Das finden alle. Und doch ist irgendwann Schluss. Zwei Mal noch kommt er auf die Bühne. Zwei Mal Zugaben. Das Sacco hat er nun abgelegt. Das letzte Lied ist witzigerweise eine Hommage an den Fünfziger-Jahre-Humoristen Heinz Ehrhardt, „Nochn Gedicht“, das ist es im doppelten Wortsinn. Darin heißt es: „In meinem Garten da wachsen große Jamben und Trochäen“. Was soll ich sagen? Dende- ist Legende, Mann. Bitte, gern geschehen. Aber he, doch da nich für.

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