Kultur Puccini mal anders

Klaus-Florian Vogt übernahm den Tenorpart.
Klaus-Florian Vogt übernahm den Tenorpart.

Das Programm des Festspielhauses Baden-Baden in den kommenden drei Monaten bis Jahresende wird gleichsam tänzerisch gerahmt. Zurzeit ist das Hamburg Ballett von John Neumeier zu Gast. Über Weihnachten kommt dann wieder das Mariinksy-Ballett aus St. Petersburg. Das Silvesterprogramm bestreitet das Karlsruher Staatsballett. Mit besonderer Spannung erwartet aber wird die szenische Produktion vom Puccinis „La Bohème“ im November mit Teodor Currentzis am Pult.

Der viel gefragte und ob seiner kühnen Deutungen oft gefeierte Currentzis wird ja im kommenden Jahr die Leitung des neuen SWR Symphonieorchesters übernehmen und damit im deutschen Südwesten fest etabliert sein. Bei der von Philipp Himmelmann in Szene gesetzten „Bohème“ spielt allerdings sein russisches Ensemble „MusicAeterna“, mit dem zusammen er bei den diesjährigen Salzburger Festspielen auch Mozarts „La Clemenza di Tito“ herausgebracht hat. In Baden-Baden wird also nach der „Tosca“ zu Ostern, auch in Himmelmanns Regie, mit den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle ist im Herbst ein Puccini ganz anderer Art zu erwarten sein. Bei den Osterfestspielen war auch Zubin Mehta ans Pult der Berliner Philharmoniker getreten. Er dirigierte nun auch beim Saisoneröffnungskonzert im Festspielhaus, aber jetzt die Wiener Philharmoniker. Der erste große Schwerpunkt der Saison ist aber das Gastspiel des Hamburg Balletts, das seit vielen Jahren schon alljährlich von der Alster an die Oos kommt. Am Wochenende wird dabei dreimal Neumeiers Hommage an den legendären Tänzer Nijinsky gezeigt. Am ersten Wochenende gab es eine jüngere Arbeit des US-amerikanischen Choreographen, seine Tanzversion von Gustav Mahlers „Lied von der Erde“. Als junger Tänzer war Neumeier in der Ballett-Version zu diesem Werk von Kenneth MacMillan beteiligt, er selbst hat nach vielen Mahler-Balletten erst 2015 eine eigene Choreographie zu diesem symphonischen Zyklus von sechs Gesängen geschaffen. Nach Aufführungen von Neumeiers Balletten zu Mahlers Dritter 2003 und der Siebenten 2007 war es jetzt im Festspielhaus Baden-Baden die dritte Aufführung eines Tanzstücks von Neumeier zu Musik von Mahler. Es war aber die erste mit Live-Musik. Dafür wurde die Deutsche Radiophilharmonie Saarbrücken Kaiserslautern engagiert, die vom Hamburger Stammdirigenten fürs Ballett, Simon Hewett, geleitet wurde. Hewett bot eine schlüssige und flüssige Wiedergabe des Werks, die frei von elegischem Pathos war und ideal mit den klaren Bildern und Gesten auf der Bühne korrespondierte. Höchst prominent waren die beiden Gesangspartien besetzt. Wagner-Startenor Klaus Florian Vogt sang seine drei Sätze mit markanter Diktion und effektiver Wortauslegung, jedoch ohne Kraftmeierei. Der junge Bariton Benjamin Appl faszinierte in seinen Gesängen durch eine sehr ausdrucksvolle Modellierung, wunderbar geschmeidige Tongebung und eine liedhaft schlichte, jedoch überaus empfindungsreiche Vortragsweise. Hatte Neumeier bei Mahlers Dritter und vor allem Siebenter eine fest umrissene Deutung des inneren Programms der Sinfonien geboten, geht er beim „Lied von der Erde“ eher assoziativ und atmosphärisch vor. Es gibt besonders in „Von der Schönheit“ und „Der Trunkene im Frühling“ zwar auch sehr konkret illustrative Teile, aber über weite Strecken bleibt der Bezug zwischen Tanz und Text offen. Sehr stark aber ist der letzte Teil, die zweite Hälfte des „Abschieds“. Auf leeren Bühne bieten die Pas de deux zwischen der zentralen männlichen Figur als dem lyrischen Ich der Gedichte (oder Mahler selbst?) und einer vieldeutigen Frauenfigur eindrucksvolles und expressives Tanztheater, das die Wirkung der Musik erheblich potenziert. Die Frau verkörpert dabei die Zeit, die Erde, eine Geliebte oder eine Figur aus Mahlers Umfeld. Spannung entsteht auch in dem Zusammentreffen des Ich mit seinem im Text angesprochenen Freund. Kontakt www.festspielhaus.de, Telefon: 07221/3013-101.

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