Ludwigshafen Odysseus und der Gazstreifen: Tilman Gersch inszeniert antike Dramen am Theater im Pfalzbau

Viel im Fernsehen zu sehen, jetzt im Pfalzbau als Antigone: Amina Merai.
Viel im Fernsehen zu sehen, jetzt im Pfalzbau als Antigone: Amina Merai.

Die Stücke Hardcore-Bildungsbürgerstoff, die junge Schauspielerin Luise von Stein ist eine Nachfahrin von Goethes Herzenshofdame Charlotte. Pfalzbau-Theater-Intendant Tilman Gersch inszeniert zwei antike Tragödien von Sophokles. Premiere ist am Freitag.

Luise von Stein, nachgeborene Verwandtschaft von Goethes Schwarm Charlotte, ist Absolventin der Folkwang-Uni Essen, Hauptdarstellerin der ARD-Serie „Everyone is F*cking Crazy“, 24. Superlustig, wie sie in der Satire „Browser Ballett“ /ZDF) an der Seite von „Tatort“-Kommissar Fabian Hinrichs den Auftritt einer Klimaaktivistin in einer Talkrunde verkörpert – am Tag eines Atomraketeneinschlags in Deutschland. Jetzt agiert die wandlungsreiche Schauspielerin als kühler Pragmatiker Odysseus in Tilman Gerschs „Philoktet“-Inszenierung beim Festival im Pfalzbau. Das Stück über einen verbitterten Kriegshelden, bei dem eitrige Wunden schwären.

Amina Merai, 1995 geboren, Tochter polnisch-tunesischer Eltern, die man aus Fernsehserien und Filmen wie „Meine teuflisch gute Freundin“ kennt, gibt seinen jungen idealistischen Widerpart Neoptolemos. Der 61-Jährige Meinolf Steiner, 2020 „Götz von Berlichingen“-Titelheld im Pfalzbau, wird als gebrochener Heros Philoktet zu sehen sein. Brigitte Peters aus Schwerin fungiert firmiert als Chor. Der Dichter Sophokles (ca. 497 bis ca. 406 v. Chr.) hat „Philoktet“ mit 90 geschrieben, kurz vor seinem Tod.

Ein weises Alterswerk über Staatsräson und Bauchgefühl. Meist wird an deutschsprachigen Bühnen Heiner Müllers Version aufgeführt, selten das „textgebundene“ (Gersch) Original wie in Ludwigshafen. „Antigone“, das zweite Sophokles-Stück, das am Freitagabend Doppelpremiere hat, gespielt von Amina Merai, gilt als Klassiker, der von einer ambivalenten Heldin handelt, die ihre Moral absolut setzt und devot Männer über sich richten lässt.

Zwei „Neinsager“ und uneindeutige Helden vor Kriegshintergrund, so beschreibt der Regisseur selbst das Verbindende zwischen den Werken. Auch bei „Antigone“ ist die Rolle des Herrschers Kreon, dessen Verbot, ihren Bruder zu begraben, sie sich widersetzt, von einer Frau (Brigitte Peters) besetzt. Luise von Stein ist Antigones Schwester Ismene und ihr Geliebter Haimon in einem.

Warum die beiden Stücke jetzt spielen? Wer sich mit Gersch darüber unterhält, ist gleich bei „Tagesschau“ und den gegenwärtigen Krisen und Kriegen, auf das der vife Intendant den Antikenstoff gleichwohl nicht herunterbrechen will. Bei der Ukraine also, dem Hamas-Terror, der sich egomanisch und verschwörungstheoretisch radikalisierenden Gesellschaft, Antigones am 7. Oktober in Israel beglaubigter Entsetzensmerksatz: „Es gibt viel Ungeheuerliches, doch nichts ist ungeheuerlicher als der Mensch“.

Bei Sophokles jedenfalls, stellt Gersch fest, sei die Lage ähnlich unlösbar und kompliziert, so krisenhaft wie jetzt gerade, gleichwohl uns – anders als Philoktet – statt des göttlichen Helfers Herakles Kanzler Scholz und US-Präsident Biden zur Verfügung stehen. Was der Intendant will, sagt er, sei, dass das Publikum „neu erfährt, warum die Stücke geschrieben wurden“, Ein Transfer in Gedanken, der von der Bühne ausgeht. Versprochen ist eine zeitübergreifende Inszenierung, in einer zeitlos modernen Ausstattung. Und, dass man kein Graecum braucht, um den epochenübergreifenden inneren Beweggründen des Geschehens zu folgen. Zudem hat sich der Staatssekretär im Kulturministerium, Jürgen Hardeck zur Premiere am Freitag mit einer wichtigen Nachricht angekündigt. Dann doch noch ein Deus ex Machina? Wir werden sehen.

Informationen

Premiere am Freitag, 3. 11.; 1930 Uhr. Weitere Termine am Samstag, 4. 11., 19.30 Uhr und am 15. 5. 2024, 1930. Jeweils um 19.10 Uhr finden Vorgespräche, nach den Vorstellungen Nachbetrachtungen statt. www.theater-im-pfalzbau.de

„Everyone is F*cking Crazy“-Heldin Luise von Stein.
»Everyone is F*cking Crazy«-Heldin Luise von Stein.
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