Kultur Interview: Historiker Bernd Schneidmüller über Rudolf von Habsburg

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Die Grabplatte Rudolfs von Habsburg im Dom zu Speyer: Noch zu Lebzeiten des Herrschers gefertigt, gilt sie als eines der ersten realistischen Porträts eines römisch-deutschen Königs überhaupt. Aber was ist mit der Nase? Wurde dieses Habsburger-Kennzeichen etwa erst später vergrößert?

Mit dem Aufstieg des Hauses Habsburg und dem im Speyerer Dom begrabenen König Rudolf I. befassen sich heute und morgen namhafte Historiker und Kunsthistoriker aus ganz Europa. Die „Europäische Stiftung Kaiserdom zu Speyer“ hat sie zu einem Symposium eingeladen. Und das bildet den wissenschaftlichen Auftakt der Beschäftigung mit dem Thema, die 2021 in eine Sonderausstellung im Historischen Museum der Pfalz münden wird. Die Tagung wird geleitet von den beiden Heidelberger Mittelalterhistorikern Stefan Weinfurter und Bernd Schneidmüller, mit dem sich unsere Redakteurin Dagmar Gilcher im Vorfeld unterhalten hat.

Herr Professor Schneidmüller, war Rudolf von Habsburg eigentlich Schweizer, Elsässer oder Österreicher?

Von allem ein wenig. Er war jemand, der im Südwesten des damaligen deutschen Reiches begonnen hat, seinen Besitz aufzubauen. Die Habsburg, seine Stammburg, liegt im heutigen schweizerischen Kanton Aargau, in der Nähe von Brugg. Diese Keimzeile ist später ein wenig in den Hintergrund gedrängt worden von den Eidgenossen, die mit den Feudalherren nichts im Sinn hatten. Deswegen findet erst seit kurzer Zeit in der Schweiz eine Art Wiederentdeckung der Habsburger statt. Die Eidgenossenschaft gab es ja noch nicht, als Rudolf 1218 geboren wurde. Nach heutigen Maßstäben müsste man ihn zunächst einmal als Schweizer bezeichnen. Der Herrschaftsschwerpunkt liegt in der Tat zwischen Basel und Straßburg, zu beiden Seiten des Rheins. Er würde auch gut nach Baden oder ins Elsass passen, die damals noch nicht so hießen. Rudolf selbst hätte sich wohl als Schwabe oder Alemanne bezeichnet. Auch das Elsass war ja damals Bestandteil des Reiches. Ironie der Geschichte, dass aus den Nachfahren des Beinahe-Elsässers Rudolf dann Lothringer wurden? Die Dynastie heißt ja Habsburg-Lothringen? Ja, das kam im 18. Jahrhundert, durch die Heirat Maria-Theresias mit Herzog Franz-Stephan von Lothringen. Und von Österreich haben wir bis jetzt noch gar nicht gesprochen. Der erste, der Österreich im Namen trägt, ist Rudolfs Sohn, Albrecht, der wie sein Vater im Speyerer Dom beerdigt ist. Zu Österreich haben die Habsburger zunächst keinen Bezug. Sie gewinnen aber mit viel Glück einen Krieg gegen Ottokar von Böhmen, nehmen diesem Österreich und die Steiermark ab. Rudolf schafft es dann, dass die Reichsfürsten zustimmen, diese beiden Herzogtümer an seinen Sohn Albrecht zu übergeben. So kommen die Habsburger nach Österreich. Aber was noch wichtiger ist: Die Habsburger sind Grafen, und damit in der Hierarchie der Standesgesellschaft zwar nicht ganz unten, aber auch nicht ganz oben. Über ihnen sind die Fürsten. Und mit dem Zugriff auf die Herzogtümer schafft es Rudolf, dass sein Sohn Albrecht jetzt zur Elite des Reichs gehört. Die Habsburger sind allerdings noch sehr lange im südwestdeutschen Raum präsent. Das verlagert sich erst allmählich, im 15. Jahrhundert, vor allem mit Maximilian, in den Raum um Wien, den heute jeder sofort mit Habsburg verbindet. Das Symposium in Speyer beschäftigt sich nicht nur mit der Person Rudolfs, sondern mit dem Aufstieg des Hauses Habsburg im Mittelalter? Rudolf ist ohne Zweifel ein Aufsteiger. Ein Graf als König ist nicht üblich. Die Königswähler, die Kurfürsten, stehen ja im Rang erst einmal über ihm. Aber er hat nicht nur Söhne, sondern auch Töchter, die er mit diesen Fürsten verheiratet. Innerhalb von wenigen Jahren sind die Habsburger so ganz oben angekommen. Ein Aufstieg, zu dem es in dieser Weise vorher keine Parallelen gibt. Es gab 1999 eine Landesausstellung in Rottenburg, Freiburg und auf der niederösterreichischen Schallaburg mit dem Titel „Vorderösterreich, nur die Schwanzfeder des Kaiseradlers?“ Zieht das Symposium in Speyer jetzt ein Resümee der Habsburg-Forschung seither? Die Habsburger sind ja, weil sie wichtig sind, immer schon Gegenstand der historischen Forschung gewesen. Und wir werden sicher nichts Sensationelles präsentieren. Aber wir sind dabei, neu zu entdecken – und damit haben wir unser Gespräch ja angefangen –, dass dieses nationale Prinzip, mit dem wir im 20. Jahrhundert auch das Mittelalter geordnet haben, eigentlich untauglich ist. Unser Hauptanliegen, auch meines, in der Forschung ist, zu versuchen, die Denkmuster vergangener Zeiten aus sich heraus neu zu konstituieren. Also nicht mehr mit unseren, nationalen Begrifflichkeiten heranzugehen. Das allerwichtigste dieser Tagung ist, dass wir das Prinzip der Dynastie nach vorne rücken – also das Haus Habsburg. Die Männer und Frauen aus diesem Haus denken nicht als Österreicher, Schwaben, Schweizer oder später als Spanier oder Niederländer. Sie denken in der Dynastie, und dem ordnen sie die Völker, die sie beherrschen, unter. Es ist dieses dynastische Prinzip, dass damals Politik und Geschichte gestaltet. Einige Städte in der Pfalz, wie Kaiserslautern und Landau, verdanken Rudolf die Verleihung der Stadtrechte. War das politisches Kalkül? Man kann nicht behaupten, dass Rudolf der erste ist, der die Städte fördert. Das tun auch schon die Staufer. Aber er erkennt die Autonomie der Städte als erster deutlich an. Und er bindet damit die Eliten an sich. Denn er hatte ja nicht die Hausmacht, die die Staufer hatten – und auch nicht deren Ressourcen. Er muss sein Königtum irgendwie anders finanzieren. Er entdeckt und fördert als erster die Wirtschaftskraft der Städte – und bekommt ganz neue Steuereinnahmen. Im Grunde also eine Win-win-Situation. Sie halten den öffentlichen Abendvortrag mit dem Titel „Geschichten vom Regieren im Reich und vom Sterben in Speyer“: Geschichten aus der Geschichte. Was heißt das? Also mich interessieren im Moment die „Stories“, die man früher ein bisschen abgetan hat als Anekdoten. Aber diese Anekdoten haben eine wichtige Funktion, weil sie durchs Wiedererzählen stärker im Bewusstsein bleiben als etwa Jahreszahlen, die man gleich wieder vergisst. Und es ist auffällig, dass sich gerade um Rudolf sehr viele dieser „Stories“ ranken. Man macht ihn in diesen Geschichten zu einer Art Bürgerkönig. Vielleicht auch, um ihn in seiner Andersartigkeit im Vergleich zu den erhabenen Staufern zu präsentieren. Welche Geschichten sind das denn? Etwa die von dem König, der seinen hungrigen Soldaten selbst die Rüben aus dem Acker reißt, sie putzt und mit ihnen isst. Oder der abends eigenhändig seine Rüstung ausbessert. Ein König zum Anfassen also. Das gab es vorher so nicht, war bei den Staufern undenkbar. Auf welche Vorträge oder Themen aus der Fülle des Programms sind Sie als Historiker besonders gespannt? Ich bin froh, dass sich meine Kollegen darauf eingelassen haben, sich der Verbindung von Speyer zu Habsburg zu widmen – und damit auch dem Thema „Speyer und das Reich“. Das ist für die Salierzeit gut erforscht, und es gab auch zwei Ausstellungen. Aber Speyer bleibt auch im Spätmittelalter einer der Kernorte des Reichs. Und dann wird ja auch die Grabplatte neu interpretiert. Ich bin kein Kunsthistoriker, aber es ist durchaus eine Sensation, dass sich so etwas aus dieser frühen Zeit erhalten hat. Zur Person Bernd Schneidmüller lehrt seit 2003 an der Universität Heidelberg als Professor für mittelalterliche Geschichte; zusammen mit Stefan Weinfurter hat er wegweisende Publikationen herausgegeben und war Mitglied in wissenschaftlichen Beiräten mehrerer wichtiger kulturhistorischer Ausstellungen.

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Bernd Schneidmüller
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